Kultur

"Wer hat Angst vor Virgina Woolf?" (von links) Nora Buzalka (Honey), Norman Hacker (George), Johannes Zirner (Nick) und Bibiana Beglau (Martha). (Foto: Residenztheater/Andreas Pohlmann)

26.09.2014

Als griechische Tragödie inszeniert

"Wer hat Angst vor Virgina Woolf?" am Residenztheater München

Oh Zeiten, oh Sitten! Früher kannte man sich wenigstens noch aus im Theater: Bei modernen Inszenierungen jubelte das junge Publikum, während die Älteren schockiert und empört reagierten. Aber heute ist alles anders: In der Premiere von Edward Albees Wer hat Angst vor Virginia Woolf? am Münchner Residenztheater waren die jugendlichen Zuschauer erkennbar schockiert angesichts der brutalen Ehe-Hölle, die da vorgeführt wird, während die gesetzteren Herrschaften am Ende in langanhaltende Jubelstürme ausbrachen.
Der Beifall galt sowohl den vier Schauspielern, als auch dem Intendanten Martin Kuej, der zum Saisonauftakt höchstpersönlich inszenierte. Aber was macht der Regisseur aus Albees Dauerbrenner von 1962, dieser Mutter aller Zimmerschlachten? Er macht einen auf Euripides! Statt der üblichen Edelboulevardkomödie mit Abgründen, in der sich ein bürgerliches Publikum selbst genüsslich bespiegeln kann, wenn die Fassade der Wohlanständigkeit als Lüge entlarvt wird, präsentiert Kuej das Stück als eine Art griechische Tragödie.

Ein symbolträchtiger Splitter-Parcours


Schon die Bühne in Schwarz und Weiß (Jessica Rockstroh) gibt sich mit ihrer schlichten Schönheit ganz klassizistisch: Die dunkel gehaltene Rampe ist ein einziger Scherbenhaufen, ein symbolträchtiger Splitter-Parcours aus zerdepperten Whiskygläsern und Cognacflaschen, der auf vorangegangene Szenen einer Ehe schließen lässt. Dahinter, über die ganze Bühnenbreite, eine weiße Wand und ein weißer Laufsteg, auf dem die kettenrauchenden und dauersaufenden Akteure oft wie griechische Statuengruppen choreographiert sind – wenn sie nicht grad tanzen, kopulieren, sich würgen oder küssen.
Denn das ist ja der Clou der Inszenierung: Ein Ambiente voll edler Einfalt und stiller Größe, wo man auch Goethes Iphigenie spielen könnte, prallt auf wüste Barbarei und derben Alltagsjargon („Na, du kleine Sexspritze“). Schade, dass Kuej diesen reizvollen Kontrasteffekten mit ihrem untergründigen Witz und ihrer dezenten Verfremdungswirkung nicht so richtig vertraut: Je später der Abend und je besoffener die Kombattanten, desto ernster nimmt der Regisseur die Geschichte und versucht, sie vollends zum archaischen Menschheitsdrama hochzujubeln.
Da kann einem die Aufführung dann tatsächlich an die Nieren gehen. Aber auch ein wenig auf die Nerven. Denn so originell die Idee sein mag, Albees Personal, diese fiesen Biedermänner und -weiber aus dem Akademikermilieu, mit der Wucht von Naturgewalten aufeinanderprallen zu lassen, so „overdressed“ wirkt sie auch. Weil das Stück, diese hinterfotzige, immer noch überraschend aktuelle Gesellschaftsanalyse, eine solche Aufblähung ins Schicksalhafte, Ewig-gültig-Allgemeinmenschliche eben doch nicht trägt und weil Kuej mit seinem Hang zum eher gepflegten Radikalismus der Aufführung die Psychologie nicht völlig austreibt, was für seinen Interpretationsansatz eigentlich nötig wäre.
Burschikoser

Vamp in Hot Pants


Nur dank der Spitzenschauspieler, die man an dem Abend sieht, lässt sich diese Überanstrengung des Textes ansatzweise kaschieren: Johannes Zirner gibt den ehrgeizigen Nachwuchsprofessor sportlich-draufgängerisch, Nora Buzalka als seine Gattin ist ein naives Weibchen, das gelegentlich kotzt angesichts der schmutzigen Wäsche, die das Gastgeber-Ehepaar vor ihren Augen auspackt: Norman Hacker als etablierter, aber mittelmäßiger Hochschullehrer ist heimtückisches Opfer und heimlicher Spielmacher zugleich. Ein Guerillero im Ehekampf mit seiner Frau, der grandiosen, soeben als Schauspielerin des Jahres ausgezeichneten Bibiana Beglau, die kieksend und röhrend als verführerische Megäre, als burschikoser Vamp in Hot Pants am Ende doch genauso verletzlich zusammenbricht wie all diese armen Würstchen in Menschenmonster-Gestalt. (Alexander Altmann)

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