Kultur

50 Jahre nach dem Treffen in der Waischenfelder Pulvermühle diskutierten über die Gruppe 47 (von links): Hans Magnus Enzensberger, Hans Christoph Buch, Jürgen Becker und Karla Fohrbeck – der 1993 verstorbene Hans Werner Richter saß als Pappkamerad in der Runde. (Foto: Setzwein)

20.10.2017

Als Literatur noch im Gespräch war

Ein Wochenende im fränkischen Waischenfeld ruft Erinnerungen an die Gruppe 47 wach

Die fränkischen Klöß’ haben ihm geschmeckt, dem Günter Grass. Sonst hätte er nicht ins Gästebuch der Pulvermühle geschrieben: „vielen Dank, nicht nur für die Knödel“. Diese Devotionalie belegt zweifelsfrei, dass es kein altfränkisches Märchen ist, wenn man erzählt, im idyllischen Tal der Wiesent habe sich im Herbst 1967 Erstaunliches zugetragen. Unweit der Ortschaft Waischenfeld trafen sich damals 130 Autoren, Verleger und Kritiker zur 31. Tagung der Gruppe 47. Dass es die letzte sein würde, ahnten die wenigsten. Mit Ausnahme von Hans Werner Richter vielleicht, dem Spiritus Rector des Autorenkreises. Er nämlich meinte: „In 50 Jahren wird kein Mensch mehr eine Ahnung haben, was die Gruppe wirklich war.“ Eine Behauptung, die überprüft sein will. Das dachte sich Karla Fohrbeck, ehemals Kulturreferentin der Stadt Nürnberg. Sie fasste den Plan, noch einmal nach Waischenfeld einzuladen. Der ganze Ort wurde „bespielt“, Burg und Marktplatz ebenso wie der Fraunhofer Forschungscampus und die Gastwirtschaft Pulvermühle. Es gab Autorenlesungen und Podiumsdiskussionen, Vorführungen zweier Dokumentarfilme und eine Ausstellung.

Reise in die Vergangenheit

Die Beantwortung der Frage, was dieser mal als Rasselbande, mal als linke Reichsschrifttumskammer apostrophierte Autorenhaufen wirklich gewesen sei, konnte nur so ausfallen: Da gehen die Meinungen auseinander. Und zwar die Meinungen derjenigen, die es am besten wissen mussten, weil sie nämlich selber mit dabei gewesen waren. Karla Fohrbeck konnte einige der damaligen Protagonisten zu einer erneuten Reise in die Fränkische Schweiz überreden. Es kamen: Jürgen Becker, Hans Christoph Buch, Friedrich Christian Delius, Hans Magnus Enzensberger, Hermann Piwitt, Elisabeth Plessen, Rolf Schneider und Andrzej Wirth. Weitere Gäste waren geladen, wie etwa Nora Bossong und Simon Strauß, Vertreter der Enkelgeneration, wenn man so will. Die beiden warfen geradezu einen sehnsüchtigen Blick auf die einstigen Autorensymposien und gelobten, in deren Geist weitermachen zu wollen.

Kontroverse Ansichten

Aber worin bestand dieser Geist? Da war man sich schon nicht mehr so einig. Dass die Literatengruppe kurz nach dem Krieg eine völlig neue Ästhetik, geschult am harten Realismus der Amerikaner, einbringen wollte, darauf konnte man sich noch einigen. Aber schon bei der Behandlung der Exilautoren teilten sich die Einschätzungen. Enzensberger meinte, er könne es der Gruppe 47 nicht verzeihen, dass sie die vor Hitler geflohenen Autoren nicht zurückholte. Gegen diese Meinung ließen sich Beispiele wie Erich Fried und Peter Weiß anführen, die eine bedeutende Rolle innerhalb der Gruppe 47 spielten. Und außerdem war es nun mal so, erinnerte Jürgen Becker, dass Hans Werner Richter einfach einen Neuanfang wollte, mit jungen, unbekannten Namen. Und das waren sie schließlich alle gewesen, damals, jung und unbekannt. Erstaunlicherweise machten sie sich gegenseitig groß: Zwei aus dem Kreise wurden Literaturnobelpreisträger, Grass und Böll. Der Hauptmechanismus bei dieser gegenseitigen Verbesserung war, zumindest am Anfang: schonungslos offene Kollegenkritik. Man las sich vor und kritisierte sich. So gesehen war es ein gewisser Anachronismus, dass die Lesungen an diesem Wochenende ohne jegliche Diskussionen verliefen. Ein solches Prozedere passt wohl nicht mehr, schließlich befindet man sich im Rang eines Nahezu-Klassikers. Hans Magnus Enzensberger jedenfalls las für ein ihm zahlreich zu Füßen liegendes Publikum aus einem von ihm selbst organisierten Privatdruck – „da mach ich alles selber“. Es waren autobiografische Geschichten vom Kriegsende, bei dem der 16-jährige Werwolf Magnus nicht gerade eine rühmliche Rolle gespielt hatte. So gesehen kehrte man denn doch noch einmal ganz an den Anfang der Gruppe zurück. Die Teilnehmer der ersten Treffen waren meistenteils dem Krieg entronnene junge Wehrmachtssoldaten gewesen.
Bei deren allerersten Zusammentreffen im September 1947 fungierte auch schon eine Frau als Herbergsmutter, Ilse Schneider-Lengyel. Sie stellte ihr Häuschen zur Verfügung und versorgte alle mit selbst gefangenen Fischen aus dem Bannwaldsee. Karla Fohrbeck organisierte für dieses späte Klassentreffen der Gruppe 47 einen Abend auf Burg Waischenfeld. Kredenzt wurden Schäufele und fränkische Klöß’, geschmeckt haben sie garantiert allen. (Bernhard Setzwein)

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