Kultur

Draußen vor der Tür: Sebastian Lins, Nina Marg, Oliver Brunner und Marcus Calvin. (Foto: Mitsching)

08.07.2011

Am Resi herrscht ein Kehraus ins Ungewisse

Intendantenwechsel: Viele Mitarbeiter müssen gehen

Wenn Dieter Dorn jetzt das Bayerische Staatsschauspiel verlässt, wartet Wagners Ring in Genf auf den 75-Jährigen. Sein künstlerischer Produktionsleiter seit 2000, Oliver Brunner, ist am Ende der Spielzeit 42 Jahre alt – und ab 10. Juli arbeitslos. Auf neutralem Boden gleich neben dem Marstall trifft sich eine „Viererbande“ aus dem Residenztheater – alle mit dem gleichen Schicksal: arbeitslos demnächst, gekündigt, nicht verlängert – die Klausel „Intendantenwechsel“ in ihren Bühnenverträgen ist schuld daran.
Nina Marg (36) war mit jährlichen Kettenverträgen als Leiterin der Statisterie zuständig für ein „größeres Ensemble als der Intendant“ es hat. Sebastian Lins (30) war seit zwei Jahren Regieassistent und will ohnehin hinaus in die weite Welt des freien Regisseurs. Marcus Calvin (46), als Anfänger schon im legendären Dorn’schen Faust an den Kammerspielen, war seit zehn Jahren Schauspieler bei Dorn – und hat mit dem neuen Intendanten Martin Kusej schon in fünf Produktionen zusammengearbeitet.
Calvin war sich sicher, dass der neue Intendant ihn übernehmen würde – dann kam die Äußerung des Chefs, das Kunstministerium habe ihm aufgetragen, alles so neu wie möglich zu machen. Und „neu“ ist Calvin (verheiratet, zwei Kinder) eben nicht mehr: In sechs Produktionen war er in dieser Spielzeit eingesetzt – aber unkündbar wird man erst nach 15 Jahren Engagement. Nur drei Wochen bis zu dieser Zäsur würden einem Kollegen fehlen, erzählt er – auch er sei gekündigt. „Es fällt mir nicht leicht, das zu verstehen.“

Opfer der neuen Marke

Über eines sind sich die Vier im Klaren: Am Theater sei es für den neuen Intendanten sicher schwer, mit den „alten“ Leuten zu arbeiten. In anderen Berufen sei das vielleicht anders, aber Kusej müsse eine „neue, starke Marke setzen“ – da werde nicht die bisherige Arbeit des Einzelnen bewertet sondern schlicht gewechselt. Gerade mal acht von rund 50 Staatsschauspiel-Schauspielern werden übernommen, von rund 400 Mitarbeitern des Hauses muss ein Fünftel gehen.
Außer Sebastian Lins („Mein Job war es zu lernen, mich im Theaterbetrieb zu orientieren“) wären die anderen gern geblieben. Lins ist froh, dass er bei Dorn gelernt hat, „Texte zu lesen, Sprache aufzuschlüsseln, besonders jetzt beim Käthchen von Heilbronn“; er durfte auch ein Stück selbst inszenieren. Aber Dorns Ästhetik habe auch manche Mittel des modernen Theaters ausgeschlossen, zum Beispiel die Arbeit mit Video. Das will der Träger des Kurt-Meisel-Förderpreises jetzt vielleicht in Wien nachholen.
Auch Nina Marg, die vom Film her kam, weiß nicht, ob sie da weitermachen will, wo sie jetzt abrupt gestoppt wurde. Sie hat mit und von ihren Statisten (über 100) viel gelernt: „Wie führt man Menschen – auf der Bühne und im Leben? Wie passen Menschen zusammen?“ Aber wo ist der Arbeitgeber, der diese Qualifikation schätzt und braucht? Am Residenztheater, weiß sie, wird das jedenfalls keine eigenständige Position mehr sein.
Ganz unverblümt gibt Oliver Brunner („Ich bin der Macher fürs ganze Haus“) zu, dass er gerne geblieben wäre. Das Schmieröl seiner Erfahrung ist für den „Riesentanker“ (Kusej), wo es erst mal „kracht und ächzt“, nicht gefragt. Und Brunner zählt auch die Gründe auf, warum er und die anderen bis jetzt, ein Jahr nachdem im Wesentlichen alle am Staatsschauspiel erfahren haben, wohin ihre Reise geht, noch kein neues Engagement hat: „Ich hatte bislang eigentlich keine Zeit, mich anzubieten. Ich wollte und musste mich in dem Jahr noch voll einbringen, bis zum Schluss und nach dann 50 Vorstellungen der Großproduktion ,Käthchen’, die seit Sommer 2010 vorbereitet wurde. Ich arbeite seit 14 Jahren nonstop am Theater, jetzt muss ich eine Zwischenbilanz ziehen.“ Auf jeden Fall bleibe er offen für seine weitere berufliche Entwicklung.

Akt der Befreiung

Sebastian Lins, der Jüngste in der Runde, weiß: „Dieser Job taugt nicht zum Sicherheitsdenken.“ Mit dieser Einstellung sieht er den Abschied gar als einen „Akt der Befreiung“. Wer Familie hat, spürt hingegen eher die Kälte dieser neuen Freiheit: „Man wird nicht weitergegeben, es gibt keine Jobberatung, auf ein empfehlendes Wort wartet man vergeblich.“ Im Fokus standen auch mehr die Schauspieler als die anderen Resi-Mitarbeiter. Einer brüllte Oliver Brunner an: „Sie haben mich gekündigt!“ Dem blieb nur das: „Mich auch!“
Jetzt sitzen viele, egal ob sie auf oder hinter der Bühne für den Betrieb im Residenztheater sorgten, im gleichen Boot und schauen fragend auf die Bleibenden: „Warum der und nicht ich?“ Doch dieses lähmende Grübeln weicht immer mehr der unausweichlichen Einsicht: „Man wohnt im Theater, und eine neue Wohngemeinschaft muss eben zusammenpassen.“
(Uwe Mitsching)

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