Kultur

Christoph, Michael und Hans Well stammen aus einer 17-köpfigen musikalischen Familie. Seit 1976 treten sie als Biermösl Blosn auf – ab dem 20. Januar 2012 gehen sie getrennte Wege. (Foto: SZPhoto)

02.09.2011

Anarchische Volksmusiker

Die Well-Brüder lösen die Marke Biermösl Blosn auf und gehen künftig getrennte Wege

Einigkeit macht stark, und wahrscheinlich war es die „Dreieinigkeit“ der Well-Brüder, die ihrer Aufmüpfigkeit den nicht nur akustisch lauten sondern auch langwährenden Widerhall bescherte. Das hatte nichts von heimatabendlichem Stubengesang, wenn die Drei gegen den Atommeiler in Ohu, gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, gegen die Verschandelung des Isentals und immer wieder gegen den politischen Filz, aber auch gegen all die alltäglichen Unzulänglichkeiten ihrer Umgebung (etwa in der Feuerwehrhymne) ansangen und instrumentenreich aufspielten.
Die Volksmusik revolutioniert haben die Biermösl Blosn sicher nicht – sie haben aber deren Kern wieder bloßgelegt: Volksmusik ist die Stimme aus dem Volk, und die bejodelt eben nicht telegen oder als Playbackkonserve nur Bilderbuchlandschaften, herzige Madln und schenkelklopfendes Gauditum. Nein, Volkslieder sind auch ordinär, deftig erotisch und oft voller Wut und Spott gegen „die da oben“.
Dieses anarchische Potenzial haben die Biermösl Blosn wieder auf die Bühne gestellt – erfolgreich integriert in die zeitgleich aufblühende Kleinkunst- und Kabarettszene, dann in den städtischen Münchner Kammerspielen und schließlich gar im Staatstheater. Sie waren die autochthone Stimme einer brodelnden Protestkultur im Freistaat, die vehement demonstrierte, dass es mit der „typisch bayerischen“ Obrigkeitshörigkeit vorbei war. Die Obrigkeit, das war natürlich die „Staatspartei“ CSU – von der man sich angesichts der geballten Erkenntnis von Umweltzerstörung, politischer Skandale und heuchlerischer Moral nicht länger das Bild eines heilen Bayern diktieren lassen wollte: „Gott mit dir, du Land der Baywa, deutscher Dünger aus Phosphat. / Über deinen weiten Fluren liegt Chemie von fruah bis spaat. / Und so wachsen deine Rüben, so ernährest du die Sau. / Herrgott, bleib dahoam im Himmi, mir hom Nitrophoskablau.“ So ätzte die Biermösl Blosn in ihrer Version der Bayernhymne Gott mit dir, du Land der Baywa.
Dass die Biermösl Blosn sich nun nach über 30 gemeinsamen Jahren auflösen, ist eigentlich nicht verwunderlich. Das, was sie zu einer Stimme geeint hat und an dem sie sich gewetzt haben, ist nicht mehr so, wie es war: die Allmacht der CSU längst gebrochen, die Grünen etabliert, der Atomausstieg beschlossen – Skandale gibt es zwar nach wie vor viele, aber Volkesstimme formiert sich inzwischen durch Internet & Co. viel schneller zum Massenprotest. Die Lobbyarbeit, an der die Biermösl Blosn einst lautstark und originell mitwirkten, war erfolgreich – aber in dieser Form auch beendet. „Eine abgestorbene Volkskunst wird leider auch durch Pflege nicht viel lebendiger“, bedauerte Hans Well, der vor allem die Texte des Brüdertrios schreibt, schon 1997 in Aviso, dem Magazin des Kunst- und Wissenschaftsministeriums. Resignativ stellte er in diesem Beitrag auch fest, dass es die musikalische Kleinkunstszene Münchens nicht mehr gebe – genau die ja auch ihr Nährboden war und auf dem sich die so genannte neue Volksmusik entwickelte,
Ermüdungserscheinungen waren bei der Biermösl Blosn nicht zu übersehen. Allzu oft zitierten sich die Well-Brüder nur noch selbst wiederholten routiniert ihre Protestmuster. „Bist a do“ ist so ein markantes Beispiel: Durch die Jahrzehnte bedienten sie sich dieses Liedes, ließen je nach Anlass mal politische Arschkriecher, kirchliche Unmoral-Apostel oder die verehrten „Himmelsstürmer“ Sepp Daxenberger und Jörg Hube aufeinandertreffen. Das wurde berechenbar und provozierte allenfalls ein Lächeln.

Kongeniale Partner

Die sich einschleichende Ideenlosigkeit haben kongeniale Partner überdeckt: die Toten Hosen, vor allem aber Gerhard Polt, mit dem sie auch das verbleibende Tourneeprogramm bis zum 20. Januar 2012 überwiegend bestreiten.
Um der Selbstdemontage der Biermösl Blosn vorzugreifen, jetzt also der Schlussstrich. Das ist ehrlich und konsequent: Zu den Brüdern hätte es gar nicht gepasst, sich quasi im Austrag nur von einstigen Lorbeeren zu nähren, gar die liebevoll gehätschelten Hofnarren zu geben, die belustigen, aber nicht mehr weh tun. Auch das Klischee heiler Familienbande bedienen sie nicht: Offen sagen sie, dass sie sich künstlerisch auseinandergelebt haben.
Außerdem heißt das Ende der Marke Biermösl Blosn ja keineswegs, dass die drei Wells nichts mehr zu sagen haben – sie tun es nur nicht mehr mit gemeinsamer Stimme. Künftig gehen sie getrennte Wege. Hans Well überlegt die Zusammenarbeit mit Dieter Hildebrandt und wird vielleicht mehr im Kabarett auf Kleinkunstbühnen zu erwarten sein. Christoph („Stofferl“) und Michael Well, beide waren einmal Mitglieder der Münchner Philharmoniker, wollen mit ihren Schwestern, den Wellküren, und anderen Familienmitgliedern auftreten – in Arbeit ist ein Abend an den Münchner Kammerspielen.
Trösten und neugierig machen Worte frei nach Hesse, die Christoph und Michael Well sich selbst und der Biermösl-Blosn-Fangemeinde mit auf den Weg geben: „Jedem Neubeginne wohnt ein Zauber inne.“ (Karin Dütsch)

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