Kultur

Friedrich von Thun war changierender "Erzähler". (Foto: Kammeroper München)

29.03.2017

Anatomie der Romantik

Schumann-Abend im Großen Anatomie-Hörsaal der LMU

Kaum hatte der Tenor Daniel Behle an der Bayerischen Staatsoper Mozarts Belmonte gesungen, war er schon ein Wochenende lang unterwegs in Sachen „neue Konzertdramaturgie“, „neuer Konzertort“ – so ungewöhnlich wie möglich. Ergebnis: ein Schumann-Abend im Großen Anatomie-Hörsaal der LMU mit der „Dichterliebe“ und Teilen des Klavierquintetts op. 44, mit Rezitation und medizinischen Exkursen. Die Hauptthemen hießen „Liebe“ und „Krankheit“ – was hätte bei Robert Schumann und Heinrich Heine näher gelegen ? Behle war Teil eines fulminant überzeugenden Konzepts der Kammeroper München. Erster Befund: zwei ausverkaufte Vorstellungen – man hätte das Programm wahrscheinlich eine ganze Woche lang verkaufen können. Aber die Mediziner brauchen den steil ansteigenden Amphitheater-Hörsaal im Bau von Max Littmann, und Daniel Behle singt demnächst die Johannes Passion unter Thomas Hengelbrock – auch eine ziemlich blutige Sache. Übrigens ist er schon immer ein Freund ungewöhnlicher Programmideen: mit Schuberts „Winterreise“ oder in Hamburg mit Liedern von der Waterkant. Prominent besetzt war auch alles andere, was es sonst an „Rollen“ in diesem frenetisch beklatschten Projekt gab: Friedrich von Thun als wohltuend zwischen Romantik und Ironie changierender „Erzähler“, Privatdozent Peter Reilich für alles zum Thema „progressive Paralyse“ und „mengingovaskuläre Neurosyphilis“ –sehr farbig, geradezu anschaulich dazu die Schumann-Bearbeitungen für das feinsinnig aufspielende Orchester der Kammeroper. Es war keine Klassik-Leiche, die in den Anatomie-Hörsaal geschoben wurde, sondern ein höchst lebendiger Abend, ein Konzept ohne platte Banalitäten, aber mit allem, was man schon immer über Krankheit und Tod der beiden Romantiker wissen wollte, sich aber aus Pietät nicht zu fragen traute: sehr stimmig pendelnd zwischen nüchterner Information und anrührend lyrischer Romantik. Hübsch gelang schon die verbale Ouvertüre über Heinrich Heine in München und seine Besucher aus Zwickau, schwungvoll gelang der Klavierquintett-Beginn, sehr farbig war die Instrumentierung durch Alexander Krampe mit Gitarre, Akkordeon oder einem sonoren Fagott. Danach dann die harte Landung nach romantischer Träumerei: „Zur Syphilis allgemein“, zu „Amors vergifteten Pfeilen“, später dann zum individuellen Verlauf der Krankheit bei Schumann und Heine. Was heute zwischen 20 und 40 Euro für Tabletten kostet, war damals für acht Prozent der Angesteckten ein Todesurteil noch nach Jahren. Dicht verwoben waren allen Bestandteile des Abends: nüchternes Medizinerlatein, Details der Biografie, passend gewählte Teile aus dem Klavierquintett: ironisch-romantische Kulissen, Wahnvorstellungen in Düsseldorf, die „Matratzengruft“ in Paris. Wiederzuerkennen war das alles in den Liedern der „Dichterliebe“ und in der Interpretation von Daniel Behle: Auch ohne die penetrant wechselnde Beleuchtung blieb „Blau“ die Farbe der Romantik. Exzellent gelingen Behle alle Facetten der Artikulation, sehr intim das Miniaturenhafte der Lieder. Er konzentriert sich deutlich auf die Gesangslinie, weniger auf die abgrundtiefen Gletscherspalten der Texte. Und ist am besten da, wo er sich unverkrampft lyrisch verströmen kann. So war der Abend denn außergewöhnlich, gescheit, gemischt aus Ironie und tiefem Gefühl. Und ein Paradebeispiel dafür, was neue Konzertdramaturgie kann. (Uwe Mitsching)

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