Kultur

Vor den Aktengebirgen, in denen das Schrecken dokumentiert ist: Der junge Staatsanwalt Johann Radmann (Alexander Fehling) bei der Recherche zum Frankfurter Auschwitz-Prozess. (Foto: Universal Pictures)

07.11.2014

Annäherung an das Unvorstellbare

Der Film „Im Labyrinth des Schweigens“ erzählt vom Auschwitz-Prozess, der das selbstzufriedene Nachkriegsdeutschland wachrüttelte

Mit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen von 1945 bis 1947 schienen das Dritte Reich und der Nationalsozialismus Geschichte geworden zu sein. Der erste Bundeskanzler der BRD, Konrad Adenauer, in dessen Kabinetten noch alte Nazis saßen, zog einen Schlussstrich unter die scheinbar bewältigte Vergangenheit. Die Adenauer-Ära bescherte sich unbeschwert das Wirtschaftswunder, den Volkswagen und den Heimatfilm und feierte ihr neues Lebensgefühl mit Petticoats und Petitessen. Die Täter wie ihre Opfer schienen vergessen. Erst mit dem Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965 wichen, 20 Jahren nach den Nürnberger Prozessen, die Lügen und das Schweigen der scheinbar gelungenen Vergangenheitsbewältigung der überfälligen Vergegenwärtigung des Vergangenen.
Jetzt zeichnet der Spielfilm Im Labyrinth des Schweigens dieses Kapitel deutscher Geschichte nach. An einem authentischen Ort, dem legendären Schwurgerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalasts, wo von 1945 an das Militärtribunal über die NS-Täter zu Gericht saß, wurde der Film, noch vor seinem bundesweiten Kinostart vorgestellt.

Noch einmal Gert Voss

Der Film in der Regie von Giulio Ricciarelli erzählt die Vorgeschichte des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, der das seit den Nürnberger Prozessen vorherrschende Schweigen über die NS-Verbrechen brach. Er stellt den damaligen hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903 bis 1968) als authentische Figur in den Mittelpunkt. Gert Voss, der große, im Juli dieses Jahres gestorbene Schauspieler spielt ihn in seiner letzten Rolle mit beeindruckender Souveränität als einen Mann, der im „Verschweigen der Verbrechen der Vergangenheit“ das „Gift für die junge Demokratie“ sieht. Fritz Bauer, selbst jüdischer Herkunft und nach seiner juristischen Ausbildung 1930 jüngster Amtsrichter des Deutschen Reiches, wurde von den Nazis verfolgt, saß im KZ und wurde aus dem Staatsdienst entlassen.
Der eigentliche Held des Films ist jedoch der junge Staatsanwalt Johann Radmann (Alexander Fehling), für den Gerhard Wiese, der dritte Staatsanwalt im Frankfurter Auschwitz-Prozess, dem spannenden Drehbuch von Elisabeth Bartel und Giulio Ricciarelli die authentische Vorlage lieferte. Ihn beauftragt Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen und gegen die Täter zu ermitteln, die im Vernichtungslager Auschwitz nur „auf Befehl“ gehandelt zu haben vorgaben, tatsächlich aber selbst auch willkürlich mordeten und für die Gaskammern selektierten.
Recherchen folgten, die angesichts der Aktenberge, die sich vor den jungen Staatsanwälten auftürmten, die bis dahin von Auschwitz kaum gehört hatten, auf eine Sisyphos-Arbeit hinausliefen. Und das in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, die ihr schlechtes Gewissen, nämlich im Dritten Reich nur weggeschaut zu haben, mit Verdrängen, Vertuschen und Vergessen beruhigen wollte.

Auch die Opfer schweigen

Denn nicht nur die Täter, die im Alltag der deutschen Nachkriegszeit längst wieder aufgegangen sind, schwiegen. Auch die Opfer, ausgeliefert ihren Alpträumen und Erinnerungen und einer Geschichte, die über sie hinweg gegangen war, schwiegen.
Hautnah rückt der Film die handelnden Personen in Groß- und Nahaufnahmen (Kamera Martin Langer und Roman Osin) vor Augen, in dramatischen Dialogen und Wortduellen, mit rasanten Schnitten; und bricht nur in zwei, dafür umso beeindruckenderen Totalen diese Spannung auf, dann nämlich, wenn die Kamera ganz ruhig, aber gerade deshalb beunruhigend, auf eine weite deutsche Landschaft mit Wiesen und Wäldern schwenkt; oder den Staatsanwalt Johann Radmann in der Gedenkstätte des Lagers Oswiecim zeigt, wo er zum ersten Mal Auschwitz, der Inbegriff des Grauens, das er nur aus den Berichten der Überlebenden kennt, mit eigenen Augen sieht.
Diese Unvorstellbarkeiten macht dieser Film nur erträglich, weil er das Geschehen, das man in Bildern gar nicht begreiflich machen kann, nicht dokumentiert, sondern es mit ganz persönlichen, ja privaten Nebenhandlungen und einer Liebesgeschichte verschränkt. Aber gerade deswegen macht er auch nachvollziehbar deutlich, dass erst mit dem Auschwitz-Prozess die Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland endete, dass danach keiner mehr sagen konnte, er habe von nichts gewusst – ganz gleich, ob er dabei war, nur mitmachte oder nur zu überleben trachtete. Der Frankfurter Auschwitz-Prozess, und das zeigt der Film in eindringlicher Leichtigkeit, brachte das Ende des Schweigens und bewahrte die Deutschen davor, ihre Demokratie auf einer Lebenslüge aufzubauen. (Fridrich J. Bröder) Im Labyrinth des Schweigens. 123 Min. Regie: Giulio Ricciarelli. Drechbuch: Elisabeth Bartel, Giulio Ricciarelli. Kamera: roman Osin, Martin Langer. Produktion: Jakob Claussen, Sabine Lamby, Ulrike Putz. Darsteller, u. a.: Alexander Fehling, André Szymanski, Gert Voss.

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