Kultur

Mensch-Vogelwesen mit aggressiv flattrigen Bewegungen: Hsin-I Huang (rechts) und Lieke Vanbiervliet in Franz Schuberts „Krähe“. Foto: Ida Zenna

22.01.2010

Ausbruch aus romantischem Pathos

Henning Paars Choreografie zu Franz Schuberts „Winterreise“ am Gärtnerplatztheater

Franz Schuberts Winterreise in der Bearbeitung durch den experimentell orientierten Komponisten Hans Zender (73) spricht auch Klassik-Muffel an und hat darüber hinaus schon eine Reihe von Choreografen interessiert, unter anderen Hamburgs Ballettintendanten John Neumeier. Jetzt hat Tanzchef Hans Henning Paar diese 1993 vom Frankfurter Ensemble Modern uraufgeführte „Interpretation für Tenor und kleines Orchester“, die auch mehr Klangfülle bietet als der Original-Klaviersatz, im Münchner Gärtnerplatztheater in neuer Tanz-Version herausgebracht. Zenders naturähnliche Klangmalereien, seine Rhythmisierung und spröde-geräuschigen Gefühlsausbrüche verhindern ein romantisches Pathos. Die Grundstimmung jedoch bleibt: Hier besingt ein von der Liebe und dem Leben enttäuschter Wanderer seine schmerzhaft erlebte Fremdheit, seine Melancholie, seine Todesahnungen – Befindlichkeiten, denen Paar unmittelbar Ausdruck verleiht: Die abstrakte kahle Bühne (im Hintergrund nur eine gläserne Trennwand) liegt in grauschattig deprimierendem Licht. Und die Tänzer, die immer wieder von rechts und links aus den Gassen kommen und puppenhaft mechanisch auf scheinbar vorgezeichneten Bahnen die Bühne überqueren, sind vornübergebeugte niedergedrückte Einzelwesen: Verlassene, Einsame. Klugerweise hat Paar nicht versucht, die Lied-Texte (Wilhelm Müllers Gedichte) zu illustrieren. Höchstens, dass er mit Kostüm und in der Bewegung selbst Andeutungen wagt. Im „Lindenbaum“ ist ein in lindgrünes Wams gekleideter, extrem hochgewachsener Tänzer der starke stützende Partner für ein flirtendes Pärchen. Schuberts „Krähe“ erkennt man in einer äußerst zierlichen Tänzerin mit schwarzem Federkopfschmuck: ein Mensch-Vogelwesen mit aggressiv flattrigen Bewegungen. Es ist eher so, dass Paar mit Pas de deux, Trios, Quartetten und größerer Gruppe (der schwarzen Kleidung nach eine Trauergesellschaft) der Instrumental-Musik und dem Gesang der beiden ins Tanzgeschehen integrierten Tenöre seine hoch dynamische Bewegungssprache als dritte Stimme hinzufügt. Bei 24 Liedern ergeben sich allerdings choreografische Wiederholungen mit einem gewissem Monotonie-Effekt, auch wenn sich Paar mit Hell-Dunkel-Lichtkontrasten und mit mal aggressiver, mal sanfter Bewegung sichtlich um Variation bemüht. Der Abend hätte einfach ein paar tiefer durchdachte Tanztheater-Bilder gebraucht. Dennoch ist Paars Winterreise eine solide, in sich geschlossene Arbeit, exquisit von seinem Ensemble getanzt. Und Hans Zenders Rekomposition, eine Art Zeitreise durch die seit Schubert entwickelten Musikstile, ist bei den 24 Musikern des Gärtnerplatz-Staatsorchesters unter Andreas Kowalewitz in guten Händen.  (Katrin Stegmaier)

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