Kultur

Effekthascherei ohne Aussage – Orchester, Chor und Solisten überzeugten jedoch, so auch Anna Prohaska als babylonische Prieserin Inanna. (Foto: Hösl)

02.11.2012

Babylonischer Stilsalat

Jörg Widmanns neue Oper ist am Nationaltheater grandios gescheitert

Manchmal führt das Leben selber Regie, schonungslos und pechschwarz. Am selben Tag, als an der Bayerischen Staatsoper in München Babylon von Jörg Widmann uraufgeführt wurde, starb Hans Werner Henze, nur wenige Stunden vor dem Spektakel. Henze war ein Lehrer des jungen Komponisten und Klarinettisten aus München, weshalb die Uraufführung prompt ihm gewidmet wurde. Und so ist an einem einzigen Tag ein großer Opernschöpfer gestorben – während ein neues Musiktheater grandios scheiterte.
Denn alles in Babylon ist einzig auf Show, Massenwirksamkeit und Effekt getrimmt, weshalb sich Peter Sloterdijk zum ersten Mal als Opernlibrettist ausprobieren durfte. Gemeinhin ist der Philosoph aus dem Fernsehen bekannt. Dass ein populärer TV-Guru mit dem Libretto beauftragt wurde, war reines Kalkül: Damit sollte ein breites Publikum angelockt werden. Auf einer Pressekonferenz sagte Intendant Nikolaus Bachler, dass Sloterdijk „von Anfang an der Wunschkandidat“ gewesen sei. Auf Bachler trifft dies zu, auf Widmann wohl weniger - das geht jedenfalls aus Interviews hervor. Ein Opernlibretto sei kein „vertonter Tatort“, erklärte Sloterdijk im Vorfeld. Stattdessen flüchtete sich der 69-Jährige in einen altklugen, eitlen Ritt durch den Babylon-Stoff, dem er allerdings selber intellektuell nicht gewachsen war. Eine hilflose Geschichte ist herausgekommen, die im Mythos-Wust versank und eine Nullaussage blieb.
Das verriet schon alleine das Grundgerüst. Der Jude Tammu (Jussi Myllys), ein Vertrauter des Priesterkönigs (Willard White), gerät in die sexuellen Fänge der babylonischen Priesterin Inanna (Anna Prohaska). Er wird den Göttern geopfert, sie befreit ihn aus der Unterwelt. Zuvor hatte der Fluss Euphrat (Gabriele Schnaut) beklagt, warum ausgerechnet er mit seinen Fluten alles vernichten müsse – deshalb der Opferkult als neue Weltordnung. Nach Tammus Rettung braust Inanna mit ihm in einem Raumschiff davon. Der Skorpionmensch (Kai Wessel) findet sich in den Trümmern Babylons wieder, nachdem er sich selber gestochen hatte. Dazu gesellen sich eine Seele (Claron McFadden), die irgendwie mit Inanna zusammenhängt, und die Prophezeiungen von Ezechiel (Schauspieler August Zirner). Zwei Septette aus Vulven und Phalloi runden das alles ab: Die riesigen sieben Vaginen und sieben Penisse waren aus Plexiglas.
Dass der Babylon-Stoff eigentlich bestens geeignet ist, um den Finger in die Wunden des Heute zu legen, beweisen nicht zuletzt die Texte des Philosophen George Steiner. Hier aber wurde allenfalls die aktuelle Frage nach einer Multikultur aufgeworfen, wofür Widmann durch die Musikgeschichte galoppierte. Und natürlich war sein Stilsalat konsequent babylonisch, aber auch ziemlich plump. Puccini war genauso zu hören wie Musical-Kitsch, Jazz-Anklänge oder pathetischer Choral-Bombast. Der babylonische Karneval war hingegen eher bayerisch: Der Defiliermarsch wurde genauso geschmettert wie die Lustigen Holzhackerbuam.
Hintergründig ironisch oder bitter-böse grotesk war das alles nicht. Über erschöpfende drei Stunden gähnten einzig alberner Klamauk oder überladene Dekoration, was die Regie von Carlus Padrissa noch übersteigerte. Wie man es von der katalanischen Truppe „La Fura dels Baus“ bestens kennt und an der Staatsoper schon in Turandot erleben durfte, wurde eine wahnwitzige Effektmaschinerie auf die Bühne gehievt – samt Videos, Multimedia und allerlei Hokuspokus. Zugegeben, was sollte die Regie auch sonst aus diesem Wort- und Musikbrei zaubern?
So siegten einmal mehr das Staatsorchester und der Chor, die unter der überaus stringenten, ordnenden Leitung von Kent Nagano mehr aus diesem Werk machten, als was in ihm steckt. Auch die Solisten punkteten mit höchst beeindruckenden Leistungen, was insbesondere für Anna Prohaska, Gabriele Schnaut und Willard White galt. (Marco Frei)

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