Kultur

Kantaten bei der Bachwoche in der ehemaligen Stiftskirche St. Gumbertus. (Foto: Bachwoche Ansbach GmbH/Jim Albright)

09.08.2013

Bachs Experimentierwerkstatt

Ansbach präsentiert bei der Bachwoche unter dem Motto „1713“ ein internationales Festival

Synopse nennt der Historiker das: den querschnittartigen Überblick über alles, was etwa in einem Jahr passiert ist. Heute mag man das wieder. Eines der erfolgreichsten Bücher des vergangenen Jahres hieß 1913, das Münchner Kammerorchester schreibt „1900“ über seine neue Saison und Pianist András Schiff spielt bald unter „1784“ alles, was Mozart in diesem Jahr komponiert hat. 1713 heißt auch das Motto der Ansbacher Bachwoche 2013. Da war Johann Sebastian Bach noch in Weimarer Diensten, sah elegant und modisch aus. Viel allerdings ist von Bach aus diesem Jahr nicht bekannt, während Händel in London und Vivaldi in Italien Triumpfe feierten.

Knifflige Entstehungsgeschichten, barockübliche Anleihen sowie Umarbeitungen, Parodien und Pasticci – das alles macht diese Bachwoche musikphilologisch interessant. Aber zu viel historischen Wust lässt man besser weg, wenn die Pianistin Angela Hewitt oder die Geigerin Viktoria Mullova an den ersten Bachwochen-Tagen diese Concerti spielen. Und das noch dazu mit einer Parade führender Kammerorchester. Gleich am Eröffnungsabend das kammerorchesterbasel unter dem antreibenden Hugo Ticciati, das bebte nur so vor mediterraner Lust. Die Hewitt aus Kanadas lebendiger Alte-Musik-Szene, besonders in England und Italien gefeiert, spielte dunkel getönte, perlende Heiterkeit, unverstellte Virtuosität, adelt selbst bescheidene Sätze und Bachs Gebrauchsartikel mit eleganten Momenten, südlichem Witz und variantenreichen Pointen: keck und kess, intim und leichtfüßig.

Ansbach vergisst auch die Geburtstagskinder nicht: nicht Verdi, nicht Wagner, sondern den hundertjährigen Benjamin Britten, einst auch Ansbach-Gast zusammen mit Peter Pears. Seine Frank Bridge-Variationen op. 10 gelangen dem kammerorchesterbasel mit brillant geschärftem Ton, mit einer majestätischen Adagio-Stimmung, die an die Sea-Interludes erinnert: Ein virtuoses Stück, in dem die Geigen wie Mandolinen klingen. Geistreich trifft das Orchester exakt den Stimmungscharakter der Variationen, und man kann nachvollziehen, dass Britten 1937 damit bei den Salzburger Festspielen seine internationale Karriere begann. Zu einem nachhaltigen Eindruck höchster Chorvirtuosität wurde Brittens Hymn to St. Cecilia auch beim Chorkonzert des NDR-Chors: feinste pointillistische Wirkungen, in den Soli große Linien – leider vom Publikum etwas lapidar durchgewinkt. Aber zusammen mit der berühmten Serenade für Tenor, Horn und Streichorchester“ (Ian Bostridge) eine Gipfelkette von Brittens Emotionalität und Eleganz.

Emotionalität und Eleganz

So tut dem eher konservativen, aber durchaus auch aufgeschlossenen Bachwochen-Publikum, vielfach traditionell von Rhein und Ruhr, Musik des 20. Jahrhunderts keineswegs weh. Auch nicht eine Uraufführung dieser Bach-Biennale: zum dritten Male unter dem Motto Ansbachisches Konzert ein Auftragswerk. Nach zwei Mal Orchester jetzt Jaakko Märtyjärvis achtstimmiger Chor a-capella spiro. Das heißt übersetzt „ich atme“, und mit einem gezischelten Atemzug beginnt auch diese virtuose Viertelstunde in St. Gumbertus. Der finnische Halb-Profi und Übersetzer hat sich dabei an die Ansbacher Anregung gehalten, den frühmittelalterlichen Hymnus Veni creator spiritus zum Ausgangspunkt zu nehmen. Und da ist bei ihm das „veni“ nachhaltig hängen geblieben. Das wird minimalistisch-vielfach wiederholt, in Orffscher Rhythmisierung, bald schlenzt sich das „c“ von creator als Knacklaut noch mit hinein. Nein, an Goethe oder Gustav Mahler wollte Mäntyjärvi da nicht denken, die Gleichnis-Verse werden schnell abgetan nach diesem Buchstabenspiel im Schnellzugtempo. Stefan Parkman hält mit strenger Hand seinen virtuosen Chor auf den Wort-Gleisen, die im schon bekannten Zischel-Atmen enden. Das hat Unterhaltungswert und Wiederholungschancen selbst bei ambitionierten Chören.

Hohen Interpretenstandard verspricht Ansbach auch wieder mit großen Namen: Sol Gabetta und die Geigerinnen Isabelle Faust sowie Viktoria Mullova. Beide überzeugten ohne Einschränkung durch die Makellosigkeit ihres Spiels, durch Klarheit und Strenge – besonders, wenn sie alleine auf der Bühne stehen. Isabelle Faust spielte die Solosonate BWV 1003 als raffiniertes Komponistenhandwerk, erreicht Intimität selbst im 43-Reihen-Saal der Orangerie, lässt keinen dynamischen Winkel unerforscht. Die Mullova macht die Partita BWV 1004 zum unbestrittenen Höhepunkt ihres sonst sehr unterhaltsamen Concerto-Abends. Sie spielt alles wie eben erst erfunden, führt höchste Kunstfertigkeit vor: eine Gipfelkette barocker Violinkunst, besonders die gigantische Ciaconna.

Stammgast in Ansbach: Der Windsbacher Knabenchor unter seinem neuen Leiter Martin Lehmann, der aus der A-Dur-Messe ein Stück von expressivem Nachdruck macht, geradezu extravagant und in stilistischer Vielfalt aus Bachs Experimentierwerkstatt – erstaunlich modern und die Windsbacher hier in bester Form. Das Finalwochenende steuert in Ansbach auf die Matthäus-Passion zu, aber auch auf Bach – ein verpflichtendes Erbe. Darüber zeigt die Bratscherin Tabea Zimmermann, was sie bei Bach, Hindemith oder Reger unter diesem Thema versteht. (Uwe Mitsching)

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