Kultur

Mit viel Liebe zum Detail und erstaunlich präzise zeichnete vor allem Herrmann Schlagintweit das Bergpanorama des Himalaya – und vermittelte den Europäern auf diese Weise erstmals einen Eindruck vom „Dach der Welt“. (Foto: Haus des Alpinismus)

08.05.2015

Bayerns vergessene Asien-Forscher

Das Haus des Alpinismus zeigt erstmals beeindruckende Exponate und Aquarelle der Brüder Schlagintweit aus den 1850er Jahren

Man spürt in der wissenschaftlichen Verwertung dieser Reise den Geist ihres großen Mentors Alexander von Humboldt: die gleiche detaillierte und exakte Wiedergabe auch winziger Einzelheiten in den gut 100 Aquarellen, die präzise Beschriftung und Ordnung der mitgebrachten Objekte. Die Methodik des weltberühmten Südamerika-Reisenden und Begründers der modernen Forschungsexpeditionen dominierte Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur in Deutschland das Arbeits- und Selbstverständnis von Geo- und Kartographen, von Botanikern und Ethnologen: ein empathischer, aber trotzdem objektiver Blick, neugierig, aber nicht voyeuristisch.
Da bildeten die Münchner Gebrüder Schlagintweit, die im September 1854 von England aus zu einer Forschungsreise nach Indien und Zentralasien aufbrachen, keine Ausnahme. Zwar taten sie das, vermittelt und empfohlen von Humboldt, im Dienste der britischen East India Company – das zu diesem Zeitpunkt politisch und wirtschaftlich noch nicht geeinte Deutschland wäre weder finanziell noch logistisch dazu in der Lage gewesen; Humboldt bezahlte seine Reisen aus eigner Tasche. Trotz dieses Finanziers machten sich Hermann, Adolf und Robert Schlagintweit nicht den kolonialen Blick der primär von wirtschaftlichen Interessen geleiteten Company zu eigen.
Ihre Herangehensweise dokumentiert gut der gezeichnete Blick in das „Innere eines Lama-Hauses, Saimonbong“ im heutigen Indien: Der Geistliche sitzt in der Mitte des geräumigen Gebäudes auf einem edel wirkenden Teppich; ein Kind, vermutlich ein Schüler, steht neben ihm; an der Wand sind religiöse und hauswirtschaftliche Gebrauchsgegenstände befestigt. Getreuer hätte es eine Fotografie auch nicht festhalten können. Weder verfallen die Brüder bei ihrer Dokumentation imperialem, eurozentrischen Denken – wie es bei Forschern später in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gang und gäbe war, etwa bei Henry Morgan Stanley –, noch idealisieren sie im Stil der besonders beim Laien-Publikum beliebten Motiv der „edlen Wilden“.

Blutjunge Forscher

Das verdient umso mehr Respekt, als die drei Brüder zum Zeitpunkt zum einen noch sehr jung waren: Herrmann zählte 28, Adolf 25 und Robert 21 Jahre. Ihr Rüstzeug als Forscher hatten sie sich parallel zum naturwissenschaftlichen Studium bei meteorologischen und geologischen Beobachtungen in den Alpen erworben, das zeichnerische Handwerk war rein autodidaktisch.
Trotzdem sind gerade die zahlreichen Aquarelle nicht nur überaus informativ – kaum jemand in Europa wusste zu diesem Zeitpunkt, wie es wirklich im Karakorum aussah –, sondern sind auch künstlerisch ästhetisch: Schatten des Falut. Luftspiegelung bei Sonnenaufgang etwa fängt den vergleichsweise kurzen Moment nahezu perfekt ein, das Brechen des Lichts an den gewaltigen Fels- und Bergmassen, die sich dadurch in unterschiedlichen Schattierungen von Schwarz, Grau und Weiß präsentieren, der zu dieser frühen Stunde in diffusen, nebeligen Strukturen verschwimmende Himmel über der kargen und spärlichen Vegetation auf gut 3000 Metern Höhe.
Nicht zu vergessen: Gemalt wurde nicht etwa in einem komfortablen, warmen und gut ausgeleuchteten Atelier mit Staffelei, sondern häufig mühsam auf den Knien, in Schnee und Kälte, und vom stürmischen Wind des Himalaya umtost.
Auch wenn die einzelnen Aquarelle, Karten, Zeichnungen und Skizzen meist Herrmann, dem Ältesten, zugeordnet sind, so verstanden die drei Münchner ihre Reise und ihre wissenschaftliche Tätigkeit als Teamwork. Meriten für einen Einzelnen waren ihnen fern, bei der Erledigung der anfallenden Arbeiten galt das Prinzip der zeitlichen und fachlichen Optimierung und gegenseitigen Ergänzung.
Kern der Ausstellung im Münchner Haus des Alpinismus sind die Sammlungen der Familie Schlagintweit, die diese dem Alpinen Museum vermachten. Denn jahrelang war das Brüdertrio in der Öffentlichkeit als Asien-Reisende nahezu vergessen – zumindest stand es im Schatten berühmterer Kollegen wie beispielsweise Sven Hedin. Hinzu kommen Bestände des Museums Fünf Kontinente, München, der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen, München sowie weiterer deutscher und österreichischer Museen.

Adolf wurde hingerichtet

Nachdem sie noch zusammen Bhutan und Nepal erreichten, trennten sich dort vorübergehend ihre Wege. Adolf und Robert versuchten, ins damals für Ausländer gesperrte Tibet vorzudringen. Sie mussten zwar umkehren, bestiegen aber den 7756 Meter hohen Berg Kamet bis zu einer Höhe von 6785 Metern, ehe sie aufgrund der Witterungsverhältnisse ihr Wagnis abbrachen – das gleichwohl einen neuen Höhenrekord in der Geschichte des Alpinismus darstellte.
Den Rückweg traten sie in einer anderen Zusammensetzung an: Herrmann und Robert wählten den Seeweg und landeten am 17. Juni 1857 wohlbehalten in Berlin – gerade rechtzeitig, um dem hochbetagten, aber immer noch brennend neugierigen Alexander von Humboldt von ihrer Reise zu berichten. Genau wie bei dem zu diesem Zeitpunkt bereits 88-Jährigen würde ihr ganzes restliches Leben (Herrmann starb 1882, Robert 1885, zuvor hatte sie der bayerische König Maximilian II. noch in den Adelsstand erhoben) nicht mehr ausreichen, die Unmenge an mitgebrachten Utensilien (zirka 14000, unter anderem Gebetsmühlen, Göttermasken, Textilien, konservierte Amphibien und Reptilien, Rüstungen und Waffen) angemessen aufzuarbeiten. Zusammen verfassten Hermann und Adolph 46 Bände mit Berichten, erstellten über 750 Zeichnungen und Aquarelle.
Ein tragisches Schicksal nahm der mittlere Bruder Adolph. Er versuchte, allein auf dem Landweg zurück nach Deutschland zu gelangen. In Zentralasien wurde er als vermeintlicher chinesischer Spion verhaftet und hingerichtet. (André Paul) Bis 10. Januar 2016. Haus des Alpinismus, Praterinsel 5, 80538 München. Di. bis Fr. 13 – 18 Uhr, Sa./So. 11 – 18 Uhr. www.alpenverein.de Abbildung (Foto: Haus des Alpinismus):
Adolf (links) und Herrmann Schlagintweit auf einem Foto von 1847, noch vor ihrer großen Reise. Auf dem Bild fehlt der jüngste der drei Brüder, Robert.

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