Kultur

Das Kammerorchester mit Dirigent Kent Nagano. (Foto: Hösel)

16.12.2011

Begeisterte Skeptiker

Die Musikalischen Akademie feiert 200. Geburtstag

Binnen elf Tagen – neben den üblichen Diensten – einen Quartettabend, die Puccini-Premiere, das Gründungskonzert II des zum 200-jährigen Bestehens der Musikalischen Akademie ins tönende Leben gerufenen Kammerorchesters und das Festkonzert: Respekt!
Die Damen und Herren, die sich auf eigenes Risiko in das Abenteuer des Musizierens in orchestral kleinerer Besetzung gestürzt haben, scheinen sich vorerst von Klassik und Romantik in der „Wiener Schule“ erholen zu wollen. Dass sie die Matura mit „Summa cum laude“ bestanden haben, bezeugte ihnen der Beifall ihrer Dirigenten und des Publikums. Nach Alban Berg nun Schönberg und Webern. Verklärte Nacht lädt zum Verlebendigen verschiedenster Seelenregungen und Stimmungen ein, zu Klimtschen Farben und dynamisch raffinierten Abtönungen, zu Virtuosität als selbstverständlicher Voraussetzung des Gelingens: Zubin Mehta musizierte mit seinen sensiblen Elitestreichern nicht primär den jungen Geniestreich eines Tristan-Zweitkomponisten, er hob die Verbindungen zu den Zeitgenossen Dvorak und Brahms hervor, die Bewunderung für Beethovens Kombiniertechnik – vor allem das sich abzeichnende Eigene.
Schönbergs Kammersymphonie begeisterte auch Skeptiker. Nach des Komponisten Aussage bringt sie „den Fortschritt in Richtung auf die Emanzipation der Dissonanz“. Mit der durfte man sich ausgiebig bei Anton von Webers Konzert für neun Instrumente beschäftigen. Soweit man das Wort „ausgiebig“ bei solch verdichteten Strukturen und verkapselten Tonbildungen verwenden kann, für deren Verständnis Zubin Mehta mit kurzen ganz unprofessoralen Erklärungen warb.
Ein anämisches Musikseminar, mit dem Programm des Entres der „Musikalischen Akademie“ in die Musikgeschichte am 9. Dezember 1811 das Jubiläum zu feiern: Cannabich, Winter, Paer...? Doch Kent Nagano und das enthusiasmierte Staatsorchester belebten die Novitäten von einst mit dem gleichen Interesse, Verständnis und vitaler Intensität, mit denen sie sich bei Jörg Widmann für das Geburtstagsgeschenk bedankten, den ihnen gewidmeten Bayerisch-babylonischen Marsch. Lernte man bei den Altvorderen – Musica viva ihrer Zeit, keine Note war damals älter als fünf Jahre – das fabelhaft „Handwerkliche“ auch der Kleinmeister kennen, die das Gemüt ansprechende melodische Erfindung, die individuelle Instrumentierung, so durfte man bei Widmann staunen über die intellektuelle Potenz seiner Musik. Witzig virtuos variiert, kombiniert und verzerrt er die in jedem weiß-blauen Bierzelt mitpfeifbaren Melodiefetzen harmonisch, rhythmisch, instrumental, er hetzt sie durch die heutigen Musikhimmel und -höllen. Überrumpelnd, überwältigend, köstlich.
Das Orchester brillierte mit Spaß an der Freud’, mit voller Lungenkraft genossen die Bläser hier ihre acht Minuten, während derer man zuweilen die Streicher besser sah als hörte. Dafür durften sie bei der Zugabe Méditation betörend Massenets erotisch-religiöse Klangwolke zaubern. Die überraschendste Erfahrung: Beethovens 2. Symphonie ist für uns ein Partikel im Klassik-Kosmos. Entfesseln Kent Nagano und seine Musiker die Energie in der vehementen Dramatik, die Gewalt der verstörenden Sforzati im Umkreis kontemporärer Musik, dann ahnen wir, dass sie wie ein Meteorit in die anakreontische Landschaft gestürzt sein muss. (Klaus Adam)

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