Kultur

Ist die Begegnung zwischen Kelvin (Pascal Fligg) und der Wiedergängerin Harey (Lenja Schultze) wirklich oder virtuell? (Foto: Declair)

02.12.2011

Beziehungskiste im Taumel zwischen den Welten

Stanislaw Lems "Solaris" am Münchner Volkstheater

Allzu banal irdisch „Werde ich träumen?“ fragt der fast schon menschlich denkende und empfindende Hypercomputer HAL 9000 in Stanislaw Lems 2001. Um diese Frage kreist auch Harey in Bettina Bruniers Bühnenadaption des Lem-Romans Solaris. Harey ist hier die Wiederkehr ihrer menschlichen Vorgängerin auf Erden, die liebesverzweifelt Selbstmord begangen hat. Sie erscheint ihrem Geliebten, dem Astro-Psychologen Kelvin, als dieser die Zustände auf der Raumstation über dem Planeten Solaris untersuchen soll. Die Station wird von rätselhaften Problemen heimgesucht – von psychotischem Verhalten bis zu Selbstmorden der dort tätigen Wissenschaftler.
Bald wird erkennbar, dass der bislang unverständliche Plasma-Ozean des Planeten auf menschliche Gedanken und Erinnerungen reagiert und lediglich imaginierte Personen real erscheinen lassen kann: So hält Kelvin seine tote irdische Geliebte nun als Wiedergängerin in den Armen, noch dazu gleichsam unsterblich, denn als der anfangs entsetzte Kelvin Harey einmal in den Weltraum „entsorgt“, kehrt sie wenig später einfach wieder, ohne Erinnerung an das Geschehene.
Lems Roman wirft also reizvoll anspruchsvolle Fragen auf: Können wir mit einem wiederkehrenden Toten erneut leben? Was ist Realität, was Vorstellung oder Erscheinung, also virtuell? Was für andere Existenzformen gibt es? Gibt es reflexions- und vernunftloses Leben? Wenn es das gibt: Wer hat das dann geschaffen? Eine Art „verkrüppelter“ Schöpfer oder Gott?
In den rund 100 Minuten ihres Bühnentextes haben Regisseurin Brunier und Dramaturgin Katja Friedrich sich leider nur wenig auf diese fundamentalen Fragen eingelassen und stattdessen die Partnerprobleme zwischen Kelvin und Harey ins Zentrum gerückt. Damit rutscht alles in die Nähe von Eheproblemen – altbekannt aus Wer hat Angst vor Virginia Woolf über Rosenkriege bis zu Gott des Gemetzels: Alles scheinbar in ein Science-fiction-Ambiente verlegt – aber leider nur banal irdisch.
Hinzu kommt, dass sowohl Lenja Schultze als Harey, mehr noch Pascal Fligg als Kelvin die oben angerissenen Probleme als „Youngster-Beziehungskiste“ und die dann auch noch darstellerisch viel zu schlicht ausagieren.
So bleibt die Freude an Äußerlichkeiten. Robert Merdzo sitzt als Sound-Designer anti-illusionistisch sichtbar in der Bühnenmitte und kann ein paar Mal die Atmosphäre einer Raumstation akustisch beschwören. Auch wenn die Rauch- und Feuer-Spielchen hinter Filmpassagen von einst zurückfallen – das helle, spartanisch kühle Bühnenbild von Markus Karner besticht: ein sich nach hinten perspektivisch stark verengender Raum aus modulartig wirkenden Rahmen. Dazu werfen Beamer auf Gazewänden mehrmals Sequenzen mit den real agierenden Darstellern – Realität wird als womöglich nur virtuelle Erscheinung relativiert.
Das genau wäre die Ebene gewesen, die Text und Spiel hätten erreichen sollen. Das gelingt am ehesten dem psychisch angeschlagenen Astronauten Snaut (Stefan Ruppe). Ihm gehören auch die nachdenkenswerten Sätze: „Was ist ein normaler Mensch? Einer, der nie etwas Abscheuliches getan hat? ... Ja, aber bedeutet das auch, dass er niemals daran gedacht hat? Und jetzt stell dir vor, auf einmal, am helllichten Tag, mitten unter den Leuten, trifft er DAS, diesen Gedanken und er ist Fleisch geworden, er ist an ihn gekettet, unvernichtbar. Was dann?“ Nur ein Gedankenspiel? Oder schon mehrfach Realität auf dieser unserer Erde? Danke, Stanislaw Lem! (Wolf-Dieter Peter) (Unsere Abbildungen: Auffallend und überzeugend ist das Bühnenbild von Markus Karner. Oliver Möller als Astronaut Sartorius. Fotos: Arno Declair) 

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