Kultur

Till Firit (Boris Nikolajewitsch Tschepurnoj), Norman Hacker (Protassow) und Thomas Huber (Jegor, Schlosser). (Foto Thomas Dashuber)

25.09.2017

Biederes Konversationsdrama

Maxim Gorkis „Kinder der Sonne“ am Münchner Residenztheater

Das Volk ist blöd und die geistigen Eliten sind schlau. Aber nicht schlau genug, um das Volk und dessen prekäre Situation überhaupt wahrzunehmen. Darum stürmt das Volk am Ende tobend den Elfenbeinturm der gebildeten Stände und drischt mit dem Vorschlaghammer auf das Klavier ein, das Symbol kultivierter Feinfühligkeit schlechthin. Davon handelt Maxim Gorkis Gesellschaftstragikomödie Kinder der Sonne (1905), von der man auf den ersten Blick ja meinen könnte, sie sei das Stück der Stunde: Ist der Elfenbeinturm, der in Patrick Bannwarts Bühnenbild die Gestalt eines schick verlotterten Lofts hat, nicht irgendwie auch die Festung Europa, an deren Tore die Armen der Dritten Welt pochen? Oder geht es doch eher um die hiesigen Unterprivilegierten, die den Populisten nachlaufen? Egal, irgendwie passt’s schon, dachte man sich wohl am Münchner Residenztheater, wo jetzt ausgerechnet am Vorabend des Wahlsonntags die neue Spielzeit mit der Premiere des Gorki-Stücks eröffnet wurde.

Viel zu lahmes Tempo

Zu „irgendwie“, also zu unscharf, und beliebig fiel dann leider auch die Inszenierung von David Bösch aus. Wie so viele Schauspielregisseure, die zudem Opern inszenieren, scheint auch er dadurch zahm geworden. Mit deutlichem Hang zum psychologischen Realismus lässt er das Stück als biederes Konversationsdrama dahinplätschern. Ein bisschen Tür-auf-Tür-zu-Geklapper soll anfangs wohl für Boulevard-Komik sorgen, aber dann bleibt das Tempo viel zu lahm für eine richtig zündende Klamotte, die man sehr wohl aus dem Stück machen könnte. Dementsprechend siedeln auch die Schauspieler ihre Figuren irgendwo zwischen sanfter Typen-Karikatur und echtem Charakter an. Norman Hacker als Chemiker Potassow ist nicht nur ein weltfremder Professor, sondern erscheint als ungewollt egozentrischer Waschlappen auch wie eine allzu vertraute Gestalt von heute. Seine Gattin Jelena bleibt bei Hanna Scheibe (gewollt?) blass: eine unverbindliche höhere Tochter, der letztlich alles am Allerwertesten vorbeigeht, auch die Liebeserklärungen, die ihr der Künstler Dimitrij macht (Aurel Manthei als Kraftlackl mit Bowlerhut).
Katharina Pichler wiederum schafft es, die reiche junge Witwe Melanja, die in den Professor verliebt ist, nur so weit als dralles Weibchen zu geben, dass sie das Klischee zugleich unterlaufen kann.

Der Tierarzt als Zyniker

Die vielschichtigste Figur des Abends gelingt allerdings Till Firit mit dem Tierarzt und zarten Zyniker Boris. Aber auch Mathilde Bundschuh überzeugt als nervenkranke Lisa, die als einzige die soziale Situation richtig einschätzt: „Es sind Millionen von Menschen, die immer ungezügelter hassen“, warnt sie mit Blick auf die breiten Massen. So richtig chargieren dürfen hingegen die Nebenfiguren aus den bildungsfernen Schichten: Mischa, der leicht missratene Sohn eines neureichen Kapitalisten, ist bei Max Koch eine beschränkte Zuhältertype in Cowboystiefeln, Pauline Fusban lässt das Dienstmädchen Fima als berechnendes Salonluder in Hot Pants auftreten und Thomas Huber gibt den Schlosser Jegor als Proleten wie er im Buche steht: ein dauerbesoffener Grobmotoriker und Primitivling, der seine Frau halb tot schlägt. Eigentlich klar, dass da zwischen den Klassen die „Chemie“ nicht stimmt. (Alexander Altmann)

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