Kultur

Tannhäuser (Klaus Florian Vogt) und die Fleischberge, aus denen Elisabeth (Anja Harteros, oben) herausragt. (Foto: Wilfried Hösl)

26.05.2017

Bizarre Körperwelten

Christian Gerhaher und Anja Harteros begeistern im neuen Münchner „Tannhäuser“

Es ist stiller geworden um Gunther von Hagens. Noch vor 15 Jahren gab es wegen seiner „Körperwelten“ großen Ärger, zumal in München. Plastinierte Menschen werden ausgestellt. In der Neuinszenierung von Richard Wagners Tannhäuser, die Romeo Castellucci für die Bayerische Staatsoper entworfen hat, wähnt man sich wieder in Hagens’ „Körperwelten“. Das beginnt schon mit der Venus. Im ersten Aufzug hockt sie als fleischige Masse an der Rampe, eine Mischung aus Dickdarm und Jabba der Hutte aus Star Wars. Aus dieser Kreatur kriecht der Minnesänger Tannhäuser hervor, um bald den Venusberg in Richtung Wartburg zu verlassen. Castellucci, der auch die Bühne und die Kostüme entworfen hat, möchte Wagner überspitzen. Deswegen sollte man seine Regie nicht allzu ernst nehmen. Das gilt auch für die zahllosen Symbole und Kunstzitate, die bedeutungslos bleiben. Ein Leitmotiv sind Pfeil und Bogen: Schon während der Ouvertüre tänzeln Schützinnen über die Bühne, um mit nackten Brüsten die Bögen zu spannen. Die Pfeile durchbohren ein rundes Bild, auf das der Videodesigner Marco Giusti ein Auge und ein Ohr projiziert. Für Castellucci ist das eine Anspielung auf das Fresko Das Martyrium und die Überführung der Leiche des enthaupteten Christophorus von Andrea Mantegna in Padua. Der Tyrann Danno ist hier im Hintergrund zu sehen: mit einem durchbohrten Auge. Später lässt Castellucci eine Schützin auf einem echten Pferd sitzen.

Affektreiche Tonrede

Das alles zieht sich ziemlich zäh in die Länge. Nur die Musik schenkt etwas Leben. Das gilt vor allem für Christian Gerhaher als Wolfram von Eschenbach und Anja Harteros als Elisabeth. Klaus Florian Vogt, der in München sein Rollendebüt als Tannhäuser gibt, musste sich am Premierenabend erst einsingen. Im ersten Aufzug hatte er teils gewaltige Probleme mit der Intonation. Mit seinem stechend hellen Tenor war er um Entschlackung bemüht, nach Art eines deutschen Belcanto. Den Sängerkrieg auf der Wartburg gewann Gerhahers Wolfram. Gerhaher ließ eine parlandoartige, affektreiche, hochkultivierte Tonrede erwachsen. Mit Kirill Petrenko und dem Bayerischen Staatsorchester gelang dem Bariton aus Bayern eine kammermusikalische Dichte von größter Intensität und Klarheit. Auch mit Harteros fühlt sich Petrenko hörbar wohl, wovon der zweite Akt erheblich profitiert. Weiße, durchlässige Vorhänge bewegen sich hier unaufhörlich hin und her. Die Choreografie von Cindy Van Acker im Hintergrund erinnert an Eurhythmie-Übungen. Diesem unterkühlten Ambiente rang Harteros eine wohltuende Gefühlswärme ab, getragen von einem agilen Orchesterklang. Sonst aber fand Petrenko bei seinem Tannhäuser-Debüt stellenweise nicht immer sinnstiftende Lösungen in der Tempowahl. Recht getragen blieb Wolframs Ode an den Abendstern, was Gerhaher dank seiner klaren Artikulation wettmachte. Dieser letzte Akt mutierte zu einer Grufti-Verwesungshow. Die toten Körper von Tannhäuser und Elisabeth verfallen allmählich zu Staub. Sie ruhen auf dunklen Quadern, zwei Grabmäler mit den Namen „Klaus“ und „Anja“ für Vogt und Harteros. Im Hintergrund eine Leuchtschrift: „Hier vergehen Sekunden“. Am Ende erreicht der Countdown unzählige Milliarden Jahre. Für die Regie gab es lautstarke Buh-Rufe. (Marco Frei)

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