Kultur

„Der Rest ist Schweigen“: Hamlet (Stefan Willi Wang) stirbt in den Armen seiner Mutter (Elke Wollmann). (Foto: Marion Bührle)

19.10.2012

Blutrünstiger Rächer

Nach 20 Jahren stellt das Staaststheater Nürnberg erstmals wieder "Hamlet" auf die Bühne

Die Bühne ist wüst und leer. Vorne, an der Rampe, ein Mann am Meer: Hamlet, gegen die Brandung anschreiend, „im Rücken die Ruinen Europas“! Nicht mit Shakespeare, sondern mit Zitaten aus Heiner Müllers Hamletmaschine hebt dieser Hamlet im Nürnberger Schauspielhaus an – mit einem Abgesang auf das Europa, dem gerade der Friedensnobelpreis zugesprochen wurde. Einem Europa, in dem seit Shakespeares Zeiten, die „Zeit aus den Fugen“ ist, Mord und Totschlag alltäglich geworden sind. Ein starkes Bild für Shakespeares erstmals seit 20 Jahren wieder auf dem Nürnberger Theater gespielten Hamlet, inszeniert von Schauspieldirektor Klaus Kusenberg.
Eindrucksvolle, manchmal auch effekthascherische Bilder dominieren diesen Hamlet. Auf der Drehbühne (Bühnenbild: Günter Hellweg) eine Art Vulkankegel, aus dem sich das unaufhörliche Elend der Menschheit wie glühende Lava ergießt, auf der Vorderbühne zu Magma erstarrt: Knöcheltief waten die Schauspieler in metallisch glänzenden Schaumstoffflocken, ein Sumpf, in dem sie immer mehr versinken und in dem sie schließlich alle untergehen – „der Rest ist Schweigen!“
Auch Hamlet entgeht diesem Untergang nicht. Stefan Willi Wang spielt ihn als Getriebenen, der sich unaufhaltsam und unerbittlich in den Wahnsinn der Rache, des Mordes hineinsteigert, den er mit Verstand und Kalkül plant und vollführt – eine (wieder beschwört die Inszenierung Heiner Müller) Tötungsmaschine, ein blutrünstig rächender Gerechter. Angetrieben vom Geist seines ermordeten Vaters (Jochen Kuhl als leichenblasser Mahner) der Hamlet den Schwur abnimmt, ihn, den König, an seinem meuchlerischen Mörder, seinem machtversessenen Bruder (Thomas Klenk) und an seiner eheschänderischen Witwe, Hamlets Mutter (Elke Wollmann), zu rächen.
Aber je mehr die Inszenierung auf den Schauspieler Stefan Willi Wang, (der immer etwas von dem Furor Klaus Kinskis hat), auf diesen in der Tat ungeheuer expressiven, ja explosiven Hamlet-Berserker setzt und die Raserei des mal den Wahnsinnigen, dann wieder den eiskalten Mörder mimenden Hamlet geradezu ausstellt, desto mehr geraten die anderen Figuren Shakespeares ins Abseits, werden über weite Strecken zu farblosen Statisten degradiert.
Allenfalls Jochen Kuhl als fahrender Schauspieler, der dem Königsmörder seine eigene Schandtat vorspielen und entlarven soll, macht daraus, gleichsam in Beckettscher Manier, ein grandioses Kabinettstückchen des alten und alternden Schauspielers.
Und auch Anna Keils Ophelia bricht passagenweise, vor allem als in den Wahnsinn und in den Tod getriebene Liebende, zu eindrucksvollen Szenen mädchenhaften, selbstvergessenen Liebreizes auf. Dagegen werden Nicola Lembach und Thomas Nunner in den Paraderollen von Rosenkranz und Güldenstern trotz einiger geglückter komödiantischer, närrischer Szenen von der Regie – wie viele andere Rollen auch – im Stich gelassen.

Totenkopf á la Damien Hirst

Auf die – heutiger Sprache angepasste – Hamlet-Übersetzung des Dramatikers Roland Schimmelpfennigs zurückzugreifen, mag für ein modernes Verstehen richtig sein, im berühmtesten Theatermonolog der Welt trägt sie – bar jeder historischen Sprachsubstanz – über die 400 Jahre seit Hamlets Uraufführung (1602) hinweg nicht: Wenn Regisseur Kusenberg seinen Hamlet den Monolog „Sein oder Nichtsein“ schon zweimal – mal tragisch, mal mit pathetischem Tremolo – hintereinander sprechen lässt, hätte sich für die zweite Version die immer noch unübertroffene, wort- und sinngewaltige, klassische Übersetzung von Schlegel und Tieck angeboten, Ohrwurm hin oder her.
Eine inszenatorische Perle immerhin ist die Idee, den allzeit auf der Bühne präsenten Totenkopf, eindrückliches Symbol auch für diese Hamlet-Parabel auf das luxuriös untergehende Europa, mit dem diamantgespickten Totenschädel des Künstlers Damien Hirst zu imitieren.
Alles in allem ein beeindruckend düsterer, bildergeschwängerter Hamlet, was der filmische Soundtrack der unterlegten Musik (Bettina Ostermeier) etwas zu dramatisch unter-, stellenweise auch übermalte. Das Publikum feierte einen großen Hamlet, aber kleinen Shakespeare mit großem Beifall. (Friedrich J. Bröder)

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