Kultur

Wie in überspannter Künstlichkeit erstarrt: Max Klingers Blatt "Neue Träume von Glück" aus der Grafik-Serie "Eine Liebe" aus dem Jahr 1887. (Foto: Buchheim Museum)

06.09.2013

Brütender Bombast

Grafiken von Max Klinger im Buchheim Museum

In was für ein verwunschenes Etablissement sind wir denn hier geraten! Wie zwei sich kreuzende, türlose Hotelflure wirken die langen Gänge zwischen tiefroten Stellwänden. Und zu diesem (Alp-)Traumraum, der im Buchheim-Museum in Bernried am Starnberger See aufgebaut wurde, passen die rätselhaften, manchmal fast erschreckenden Bilder, die er birgt: Bilder von Totengerippen auf Eisenbahnschienen oder von nackten Elfen, die sich luftig im Gesträuch wiegen und plumpe Bären mit Zweigen necken.
All diese Blätter stammen aus den Grafik-Zyklen von Max Klinger (1857 bis 1920), die zum Teil vollständig im Besitz des Sammlers Lothar Günther Buchheim waren und jetzt in einer Sonderausstellung präsentiert werden. Der Modernste unter den Modernen heißt die Schau – denn als solchen rühmte der dänische Schriftsteller Georg Brandes einst Klinger, von dessen Werk er ebenso berauscht war wie viele seiner Zeitgenossen.
Eigentlich müsste Klingers brütender Bombast heute befremden. Seine aufgedonnerten Beschwörungen von Eros und Thanatos, seine literarische Mythen-Kolportage, die Fin-de-siècle-Schwüle seiner allegorischen Mystifikationen – riecht das nicht alles nach zeitgebundenem Symbolismus?
Um so erstaunlicher ist der rätselhafte Zauber, den seine Grafiken noch immer ausüben. Ihre zwiespältige Faszination rührt von der eigentümlichen atmosphärischen Entrückung her, die viele seiner Werke so schön doppelbödig-irritierend erscheinen lässt. Die Darstellungen wirken wie in überspannter Künstlichkeit erstarrt, sie stehen genau auf der Kippe, an der sie in einen Aggregatszustand von absurder Irrealität überzuspringen drohen. Gerade die realistischen, scheinbar harmlosen Szenen, die auf jede vordergründige Phantastik verzichten, vermitteln die schwindelerregende Stimmung eines unheimlichen, überwirklichen Zwischenreiches.
Die ersten Blätter aus dem ironisch-fetischistischen Zyklus Ein Handschuh etwa zeigen bürgerliche Herrschaften mit Bratenrock und Zylinder, die sich auf einer Rollschuhbahn dem sportlichen Vergnügen hingeben und gleichzeitig etwas steif um würdige Haltung bemüht sind. Der latente Surrealismus dieser Blätter, die auf den ersten Blick an konventionelle zeitgenössische Presse-Illustrationen und auf den zweiten an Collagen Max Ernsts erinnern, macht die Vorbildwirkung verständlich, die Klinger auf Künstler wie etwa de Chirico ausübte. Und nicht nur Äußerlichkeiten, sondern vor allem die lautlose Traumhaftigkeit der eingefrorenen Szenerien lässt ganz aktuell auch an Bilder von Neo Rauch denken.

Effektvoller Genius loci

Die ausdrücklich phantastischen Bilderfindungen hingegen, die immer wieder als Kronzeugen für Klingers Modernität bemüht werden, kaschieren oft zu deutlich die Eindimensionalität der Allegorie mit der Rhetorik dunkel hingeraunter Bilderrätsel.
Klingers eigentliche „Modernität“ besteht darin, dass er die Brüchigkeit der vordergründigen Erscheinung fast beiläufig vergegenwärtigt. Indem er die flüchtige Präsenz des Unbegreiflichen als auratische Irritation inszeniert, gewinnt er noch aus dem frivolen Romantizismus seiner kalkulierten Visionen ein untergründiges Befremden. Um so größer der Kontrast, wenn man aus der roten Dämmerung des Klinger-Labyrinths hinaustritt in die heitere Helligkeit der Starnberger-See-Landschaft. Die effektvollsten Inszenierungen liefert halt immer noch der Genius loci. (Alexander Altmann)
Bis 20. Oktober. Buchheim-Museum, Am Hirschgarten 1, 82347 Bernried. April bis Oktober: Di. bis So. 10 – 18 Uhr. November bis März: Di. – So. 10 – 17 Uhr. www.buchheimmuseum.de

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