Kultur

11.06.2010

Das Ende vom Mythos

Hans Neuenfels debütiert an der Bayerischen Staatsoper mit Johann Simon Mayrs „Medea in Corinto“

Kaum ein anderer Opernkomponist des frühen 19. Jahrhunderts erlebt derzeit ein fulminanteres Comeback als Johann Simon Mayr (alias Giovanni Simone). Rund 60 Opern hat der aus dem Raum Ingolstadt stammende Wahlitaliener geschaffen – die meisten müssen noch wiederentdeckt werden. 2008 wurde in Braunschweig seine "Fedra" realisiert. Im Februar hatte in Regensburg Mayrs "Il ritorno d’Ulisse in patria" Premiere, und "Medea in Corinto" wurde im Herbst 2009 in St. Gallen wachgeküsst. So ist es nicht besonders originell, dass an der Bayerischen Staatsoper in München nun eine weitere Premiere von Mayrs Medea in Corinto gestemmt wurde. Wie das kommt? Der ehemalige Staatsopern-Dramaturg Peter Heilker hatte das Projekt initiiert, er wurde dann Intendant in St. Gallen. Die Schweizer waren also schneller, aus dieser Produktion ging die neue Gesamteinspielung der Oper hervor. Doch die Münchner Inszenierung, mit der Hans Neuenfels zugleich an der Staatsoper debütierte, geht nicht auf. Dabei ist bei Mayr alles klar. Im Gegensatz zu anderen Vertonungen des Mythos’ wagt er nämlich mit seinem Librettisten Giuseppe Felice Romani eine Entmythologisierung: Die Kindsmörderin spielt kaum eine Rolle, Medea bewegt sich als Außenseiterin in einer unterdrückenden Gesellschaft. Sie ist vor allem ein Opfer. Das ist übrigens gar nicht so weit entfernt von Christa Wolfs Roman "Medea. Stimmen" von 1996. Darin wird der Mythos als Lügenkampagne einer patriarchalischen Gesellschaft entlarvt, die den Machtverlust wittert: Deshalb pervertieren allerorts die politischen Systeme. Hier knüpft Neuenfels durchaus an und lässt Schwerbewaffnete aufmarschieren. Sie verbreiten Angst und Terror, es wird gemordet, exekutiert, gefoltert und vergewaltigt. Fremde haben keine Chance, Sklaven werden als „Neger“ vorgeführt. Auch Medea (Nadja Michael) – Gattin von Giasone (Ramón Vargas) – ist eine Andersartige, die vom Kollektiv als Bedrohung empfunden wird. Um sie auch klanglich zu rehabilitieren, untermalt Mayr ihren ersten Auftritt mit einem empfindsamen Geigensolo. Ihre Gegenfigur ist Creusa (herausragend: Elena Tsallagova), die Tochter des Korinther-Königs Creonte (Alastair Miles). Sie lässt Mayr von der Soloharfe begleiten. Es ist Neuenfels’ bester Einfall, dass er beide Instrumentalsoli auf der Bühne gestalten lässt. Ansonsten überzeichnet er das Geschehen derart, dass bald schon eine Seifenoper gähnt. Sie verpufft wie eine Seifenblase, denn: Die Gewaltorgien wandeln sich nicht zu einem abgründigen Bild einer Angstgesellschaft, die sich verfolgt wähnt und alles Individuelle und Fremde niedermetzelt. Das aber möchte Neuenfels zeigen. Immerhin mutiert auch der Athener König Egeo (Alek Shrader) zum Wüstling, die Gesellschaften von Athen und Korinth ähneln sich. Doch Neuenfels möchte lieber um jeden Preis witzig sein. Deshalb hoppeln Amor und die Hymnen stumm über die Bühne. Um das Geschehen zu verfremden, werden Sprüche auf einen schwarzen Vorhang projiziert. „Das ist das Ende der Ouvertüre“, ist etwa zu lesen – tatsächlich wurde die Ouvertüre gestrichen. Das Bühnenbild von Anna Viebrock ist hingegen ein klassizistisch und modern gestaltetes Gebäude mit antikem Fries, das von einer Hütte gekrönt wird: Im Finale verschwindet der Spaß im Theaterhimmel. Zwar spürte das Bayerische Staatsorchester unter Ivor Bolton einem Originalklang nach, doch wurden einige Rezitative nicht ganz präzise begleitet. Umso mehr überzeugten die Chöre unter Andrés Máspero. (Marco Frei)

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