Kultur

Das Knusperhäuschen als Riesenmund: Hänsel (Tara Erraught) und Gretel (Hanna-Elisabeth Müller) gieren nach der Schokoladentorte. (Foto: Wilfried Hösl)

28.03.2013

Das große Fressen hat Tempo, Witz und Fantasie

Humperdincks "Hänsel und Gretel" an der Staatsoper

Natürlich gibt es Münchner, die der alten Inszenierung von Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel an der Bayerischen Staatsoper hinterhertrauern. Sie stammt von Herbert List, vor 48 Jahre kam sie auf die Bühne – jetzt wurde sie ausgetauscht. Beim Startschuss unter der recht guten Leitung von Tomá Hanus zeigte sich, dass ebenso viele Münchner von der neuen Produktion von Richard Jones hellauf begeistert sind – und das zu Recht. Denn diese Regie hat Tempo, Witz und Fantasie – allerdings erst ab dem zweiten Bild.
Dabei war es keine Premiere, denn: Schon in New York, Chicago und Cardiff war diese Inszenierung zu sehen. Und wenn Jones betont, er habe dem Märchenstoff eine „poetische Interpretation“ verleihen wollen, nämlich „mehr Rätsel als Erklärung“, ahnte man zunächst nichts Gutes. Zudem distanzierte er sich von Deutungen „im Lichte Sigmund Freuds“.

Viel Spielraum für die Psychologie


Trotzdem ließ Jones’ Regie auch der Psychologie viel Spielraum, zumindest angedeutet. Um das große Fressen geht es hier, alles giert nach Essbarem. Schon im ersten Bild, das leider recht fad in einem Guckkasten spielt, unterdrücken Mutter (Janina Baechle) und Vater (Alejandro Marco-Buhrmester) des Geschwisterpaares ihr Verlangen nach Liebe und Sex mit Völlerei. Aus dieser familiären Ödnis fliehen Hänsel und Gretel (großartig: Tara Erraught und Hanna-Elisabeth Müller) – oder etwa nicht? Denn der Wald besteht aus Menschenbäumen, und an der Decke baumelt ein Kronleuchter aus Geweih. Es könnte auch das Wohnzimmer des Elternhauses sein, wo sich die Geschwister verstecken. Und die Knusperhexe, die Rainer Trost ganz famos und herrlich schrill als Hardcore-Transe gestaltete? Die sieht der Mutter verdächtig ähnlich. In einer monströsen Küche samt Gefrierfach mit Menschenteilen wirbelt die Hexe herum, um bald im Ofen zu landen. Zuvor träumen die Geschwister im Wald von einer großen Tafel, es bedient ein Ober mit Fischkopf.
Eine Szene erwächst, die einem surrealistischen Bild von Max Ernst entsprungen sein könnte: Das ist wirklich groß. Das Knusperhäuschen ist hingegen ein riesiger Mund, aus dem eine Zunge fährt – eine große Schokoladentorte thront obendrauf. Und da brutzelt sie nun im Ofen, die böse Hexe. Durch das Ofenglas sieht man sie noch ein weißes Taschentuch als Friedensangebot wedeln, das aber wird ausgeschlagen. Am Ende wird der knusprig braune Hexenbraten aus dem Rohr geschoben, das finale große Fressen kann beginnen – alles wetzt schon die Messer. Das ist schaurig-makabre Groteske vom Feinsten, bon appétit! (Marco Frei)

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