Kultur

Kunstvoll-philosophische Zerstörung: Detail von Thomas Feuersteins Installation „Prometheus delivered“ (2017). (Foto: Thomas Feuerstein/VG Bild-Kunst)

26.01.2018

Das Steinfresserchen lebt!

Die Münchner Eres-Stiftung zeigt mit Thomas Feuersteins „Prometheus delivered“ die verrückteste Kunstausstellung der letzten Jahre

Wir Loriot-Fans wussten es immer schon: Die Steinlaus lebt! Sie heißt in Wirklichkeit nur ein bisschen anders: „chemolithoautotrophe Bakterien“ nennt man jene munteren Gesellen, die sich von Eisenerz und Schwefel im Gestein ernähren. Womöglich sind diese Mikroorganismen die älteste Lebensform auf Erden, die einst mit einem Kometenschweif auf unseren Planeten kam und aus der sich alle anderen Lebewesen entwickelten – bis hin zum Menschen.
In den Räumen der (2004 gegründeten) Eres-Stiftung in München, die sich dem Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft verschrieben hat, bilden die mikroskopisch kleinen Steinfresserchen jetzt den Ausgangspunkt einer vogelwilden Nahrungskette. Oder vielmehr einer „prozessualen Skulptur“, wie es Stiftungsleiterin Sabine Adler vornehm ausdrückt. Schließlich ist das, was da unter dem Titel Prometheus delivered präsentiert wird, eine Installation des österreichischen Künstlers Thomas Feuerstein – auch wenn es aussieht wie das Labor eines High-tech-Frankenstein, der am Homunkulus bastelt.
Denn so etwas ähnliches geschieht da tatsächlich: Es brodelt und blubbert in riesigen Glaskolben, verschraubten Edelstahlzylindern sowie Dutzenden schwarzer Schläuche, die auf dem Boden herumliegen. In einem stockdunklen Raum ist gar leuchtender „Bioschleim“ zu bewundern.
Die ganzen Chemiker-Utensilien sind eben keine Dekoration, sondern ein höchst realer Bio-Reaktor: In der ersten Station knabbern die erwähnten Bakterien an Pyrit-Brocken und erzeugen dabei Schwefelsäure. Mit der zusammen fließen sie durch Schläuche auf die Marmorkopie einer Statue aus dem 18. Jahrhundert, die sie erkennbar zerfressen. Sinnigerweise stellt die Skulptur Prometheus dar, der den Menschen das Feuer, also die Fähigkeit zur Naturbeherrschung brachte, wofür er zur Strafe von Zeus an den Felsen geschmiedet wurde, wo ein Adler dem Gefesselten jeden Tag die Leber wegfraß, die über Nacht wieder nachwuchs.
Vor diesem Hintergrund wirkt es noch ein bisschen schauriger, dass die Bakteriensoße in Feuersteins Installation als Substrat für die Nachzucht echter menschlicher Leberzellen dient. Damit dieser fein ersonnene Kurzschluss mit der antiken Mythologie aber nicht zu prätentiös wirkt, gibt ihm der 1968 geborene Künstler einen heftigen Drall ins Groteske: Aus den nachgezüchteten Leberzellen wird in einer kleinen Destillieranlage dann auch noch Schnaps gebrannt, der laut Auskunft des Künstlers „recht passabel“ schmeckt. Na Prost!
Das alles ist kein Witz, sondern Biotechnologie auf dem neuesten Stand – und sicher die verrückteste Kunstausstellung der letzten Jahre. Witzig wirkt die Schau gleichwohl, weil sie gekonnt changiert zwischen abgründigem Ernst und dem ironischen Spiel mit Science-Fiction-Motiven.
Vor allem macht das Werk dieses Bio-Künstlers eines sichtbar: Dass die eigentlichen Märchen und Mythen unserer Tage von der modernen Naturwissenschaft erzählt werden. Was Physiker über schwarze Löcher berichten und Biologen von chemolithoautotrophen Bakterien, das klingt tausend Mal phantastischer als jeder Fantasy-Roman. (Alexander Altmann) Information: Bis 24. März, Eres-Stiftung, Römerstraße 15, 80801 München. Di. bis Mi., Samstag 11-17 Uhr.

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