Kultur

„Brain Imagining“ könnte leicht glauben machen, es ließe sich alles genau und schön bunt abbilden, was sich zwischen den grauen Hirnzellen abspielt. Das Wissen um den zerebralen Gesamtmechanismus bleibt aber nach wie vor rätselhaft. (Foto: MPG)

08.10.2010

Der gewisse Unterschied

Wissenschaftler gehen bei einem Symposium in Nürnberg der Frage nach, warum Männer und Frauen unterschiedlich „ticken“

Als Gott den Menschen schuf, fing er bei Adam an und schnitt Eva aus seiner Rippe. Aus evolutionstheoretisch begründeter Sicht moderner Neurowissenschaftler freilich, und damit frei nach Darwin, ist der biblische Schöpfungsmythos der Genesis nichts weiter als die Kopfgeburt einiger alter Männer, die ihre (Vor-)Machtstellung über die Frau klerikal zementieren wollten und sich auf dieser Grundlage eine bis heute dominierende, die Frauen mal mehr, mal weniger unterdrückende oder gar ignorierende Kirche einfallen ließen.
Ganz anders dagegen als der Gott der Bibel verfuhr die Natur, die vor etwa vier Millionen Jahren nicht mit dem Mann, sondern mit der Frau anfing, aus deren Gene das XY-Gen abzweigte und so dem Mann erst auf die Beine half. Womit das Debakel aber richtig anfing und im bis heute andauernden Geschlechterkampf mündete, der andererseits jedoch diese „Laune der Natur“ zum Erfolgsmodell machte und dem Menschen bis auf den heutigen Tag seine Existenz sicherte – mit allen bekannten Folgen: Die Frauen stehen mittlerweile ihren Mann (wenn auch längst nicht mehr immer zu ihren Männern).
Jetzt ging ein Symposium in Nürnberg, hochkarätig mit Neurowissenschaftlern aller, vorrangig naturwissenschaftlicher Couleur besetzt, dieser als „Flickschusterei der Natur“ apostrophierten Geschlechtertrennung nach und fragte sich unter dem Titel Mann – Frau – Gehirn, warum "Frauen anders als Männer ticken“.

Frauen nutzen ihre Gehirnzellen intensiver

Die Antworten der Neurobiologen und Neuromediziner, Neurophysiker und Neuropsychologen, der Neuro-Pädagogen und Primatenforscher, Anthropologen, Biopsychologen, Evolutionstheoretiker und sogar eines Musikphysiologen fielen zwar recht unterschiedlich aus, liefen aber alle auf die neurowissenschaftliche Binsenwahrheit hinaus, dass ein Mann nicht nur ein Mann und eine Frau nicht nur eine Frau ist, sondern dass die in der Natur ganz und gar nicht selbstverständliche Zweigeschlechtlichkeit eigentlich ein Paradox ist – und die Übergänge fließend sind.
Dabei räumten sie mit so populistisch gepflegten (und von Comedians wie Mario Barth massenhaft verbreiteten) Vorurteilen auf, dass das Gehirn des Mannes größer sei als das der Frau, oder „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“, eine These, die als Buchtitel Furore machte.
Denn in der Tat ist das Volumen des weiblichen Gehirns im Durchschnitt etwa 16 Prozent kleiner als das des männlichen Gehirns, was mit der Körpergröße zusammen hängt; dafür aber nutzen Frauen die 100 Milliarden Nervenzellen ihres Gehirns viel intensiver als die Männer, denken nicht symmetrisch wie die Männer, sondern asymmetrisch, wobei sie auf die 100 Billionen möglichen Schaltungen ihrer beiden Gehirnhälften weitaus häufiger zurückgreifen und damit viel variabler und flexibler denken.
Im früheren Spracherwerb von Mädchen schlägt sich das nieder wie umgekehrt in einer größeren „Externalisierung“ von Jungen, die schon von Kindheit an zu einem aggressiveren Verhalten und zur „Gewalt“ neigen.
Aber das liegt nicht nur an der Natur, also der Biologie des weiblichen und des männlichen Gehirns, sondern an vier Millionen Jahren Evolution, in denen sich nicht nur ein Geschlecht, sondern gleich deren mehrere ausprägten: denn neben dem „genetischen Geschlecht“ gehen die auf alle Bereiche ausgreifenden Neurowissenschaften auch von einem „körperlichen Geschlecht“ und inzwischen auch von einem „Gehirn-Geschlecht“ aus, ganz zu schweigen von einem „soziologischen“ und einem „psychologischen Geschlecht“.
Denn das Gehirn, so der Wiener Anthropologe Karl Grammer, ist „ein biologisches und ein soziales Organ“. Will heißen, dass die eigentlich von Natur aus gar nicht so unterschiedlichen Gehirne von Frau und Mann schon von Geburt an (und genau genommen schon lange davor) von ihrer Umwelt geprägt werden und kulturellen und gesellschaftlichen Einflüssen ausgesetzt sind, die auch neuronal manifest, also im Gehirn abgespeichert werden.

Männer probieren herum – Frauen geben schneller auf

Was auf die nur auf den ersten Blick paradoxe These hinausläuft, dass „das männliche und das weibliche Gehirn zu 99 Prozent ein Produkt der Biologie und zu ebenfalls 99 Prozent ein Produkt der Kultur“ sind.
„Wenn neuronal gesehen Männer so denken wie Frauen und Frauen so denken wie Männer“, hebt das anthropologisch betrachtet den geschlechtlichen Unterschied nicht etwa auf, sondern erst hervor, behauptet der Wiener Wissenschaftler. Das jeweilige Gehirngeschlecht führt bei Mann und Frau zu höchst unterschiedlichen Strategien, wenn es gilt, Probleme zu lösen und auf bestimmte Herausforderungen zu reagieren.
Dabei bevorzugt das männliche Gehirn offenbar die Strategie von „trial and error“ und probiert so lange herum, bis etwas geht oder eben nicht geht – während das weibliche Gehirn schneller aufgibt, sich also „nicht verbeißt“, sondern variabel und flexibel reagiert, woraus man auf eine mehr anerzogene als genetisch bedingte „kognitive Differenz der Geschlechter“ schließt.
Warum die Natur sich gleichwohl oder gerade deswegen den ungeheuer aufwändigen Luxus zweier, ja sogar mehrerer Geschlechter („sexuelle Variationen“, die man als „homosexuell“ und politisch inkorrekt als Zwitter, heute als „bisexuell“ deklariert) leistet, erklärt Eckart Voland, Professor für Philosophie der Biowissenschaften in Gießen, sehr einleuchtend damit, dass die ausschließlich auf Reproduktion zielende Evolution sich im Laufe der Millionen Jahre abgesichert hat: Eine Sicherheitskopie der Lebewesen sichert das Überleben der jeweiligen Spezies, also auch des Menschen. Das ist die so genannte Lottoschein-Hypothese, nach der ein Treffer bei zwei verschieden ausgefüllten Lottoscheinen größer ist als bei zwei identischen, die freilich einen größeren Gewinn erbrächten, wenn sie „richtig“ wären.
Womit sich freilich die Frage nicht erklärt, warum es der Sexualität bedarf, um sich reproduzieren bzw. fortzupflanzen, denn „Sexualität und Fortpflanzung“ haben zunächst nichts miteinander zu tun.

Der Klon aus der Retorte wäre kaum lebensfähig

Aber auch da fährt die Biologie bzw. die Natur eine doppelte Strategie, weil Selektion und Differenzierung die Immun-Gene, die das Lebewesen Mensch vor recht anpassungs- und wandlungsfähigen Parasiten schützt, ständig erneuert, was bei Mono-Geschlechtlichkeit nicht der Fall wäre. Ein geklonter Mensch aus der Retorte ist zwar vorstellbar, wäre aber kaum überlebensfähig; erst das „Prinzip Mann und Frau“ führt bei der Reproduktion zur optimalen Auswahl, ganz abgesehen davon, dass im gesamten Tierreich, den Menschen eingeschlossen, sich die Arbeitsteilung in zwei Geschlechter bei der Aufzucht des Nachwuchses im Laufe der Evolution bewährt hat.

Zunehmende Biologisierung sozialer Beziehungen

In den Wein neurowissenschaftlicher Euphorie goss die Wiener Biologin und Genderforscherin Sigrid Schmitz dann allerdings wissenssoziologisches Wasser, als sie mit den Versuchsanordnungen und Verfahrensweisen des neurophysikalisch bevorzugten „Brain Imaging“ hart ins Gericht ging und eine zunehmende „Biologisierung sozialer Beziehungen und gesellschaftlicher Strukturen“ beklagte: Die am Computer visualisierten, augenfällig kolorierten Abbildungen zerebraler Prozesse, die sich in den eigentlich farblosen grauen und weißen Massen der Gehirnhälften abspielen, verfälschen insofern die in vielen Bereichen hochgejubelten Erkenntnisse der modisch gewordenen Neurowissenschaften, als sie eigentlich nur die „gehirnlichen Unterschiede“ zeigen, nicht aber den „zerebralen Gesamtmechanismus“.
Unser Gehirn, ob weiblich oder männlich, funktioniert nicht in Ausschnitten und Momentaufnahmen des Elektroenzephalogramms (EEG) und der Computertomographie, sondern als ein im Idealfall wunderbar ausbalancierter Dauerzustand, der keinen Schlaf kennt. Sigrid Schmitz warnte vor der aufkommenden Neuro-Ökonomie, die „neuronale Grundlagen ökonomischer Entscheidungen“, bei denen übrigens Frauen besser abschneiden als Männer, gleichsam über das menschliche Kalkül stellt.
Die Finanzkrise wäre, so betrachtet, entweder gar nicht entstanden oder zumindest nicht so eskaliert, wenn Frauen im Management des internationalen Finanzkapitals nicht so gravierend unterrepräsentiert wären.

Weibliche Physiologie und Schwachsinn

Spätestens hier machte sich die Abwesenheit von Geistes- und Sozialwissenschaftlern, von Philosophen wie Soziologen schmerzhaft bemerkbar, die – entgegen der bisherigen Praxis dieses „Nürnberger Symposions der Gehirnforscher“ – diesmal so gut wie nicht vertreten waren. Sie hätten vielleicht viel besser als die Naturwissenschaftler die vor gut 100 Jahren erschienene, seinerzeit niederschmetternd chauvinistische Schrift des Leipziger Neurologen und Psychiaters Paul Julius Möbius, Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes, entkräften können, die die bis heute immer noch anzutreffenden und neurowissenschaftlich durch nichts zu begründenden Domänen der Männer hoffähig machte und als „wissenschaftliche Erkenntnis“ absicherte.
Aber das brachte schon Simone de Beauvoir unnachahmlich auf den Punkt, als sie in ihrem, den Feminismus konstituierenden Buch Das andere Geschlecht (1949) konstatierte: „On ne naît pas femme, on le devient“ (Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht). Ein Satz, den die Neurowissenschaftler als biologisch falsch, soziologisch aber als – wie sich zunehmend herausstellt – als immer „richtiger“ erkennen.
Aber vielleicht ist das eine doch zu weibliche Sicht auf die von Stereotypen und Klischees verstellten gesellschaftlichen Rollenerwartungen, die das Verhältnis der Geschlechter, die sBeziehung von Frau und Mann, prägen – und der Schlager hätte doch recht: „Ganz ohne Männer geht die Chose nicht.“ . (Friedrich J. Bröder)

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