Kultur

Mecki als Handpuppe: Eines der Ausstellungsexponate.

23.09.2011

Der Kasper kann auch garstig sein

Das Stadtmuseum Marktbreit zeigt eine Ausstellung über das Handpuppentheater

Im Fachwerkgewinkel von Marktbreit, am Südrand des Maindreiecks, macht das Malerwinkelhaus aus dem 17. Jahrhundert seinem Namen Ehre: Wie es da über dem Stadtbach balanciert, könnte sich das Carl Spitzweg ausgedacht haben. Ganz und gar kein verschnarchtes Idyll ist das Museum, das darin im Jahr 1991 eingerichtet wurde, die Präsentation ist weit entfernt von fader Lokalgeschichte mit Muff und Trödel. In der Dauerausstellung stellt die Stadtgeschichte zwar den Rahmen, aber das Thema ist die soziale Rolle der Frau im aufstrebenden Bürgertum des 19. Jahrhunderts. Damit ist das Museum einzigartig in Franken.
So thematisch originell wie fundiert sind auch die kulturgeschichtlichen Sonderausstellungen. Aktuell geht es um die Geschichte des Handpuppentheaters und insbesondere um die Figur des Kasper. Allein schon wegen der gezeigten Handpuppen aus einer Privatsammlung lohnt der Besuch. Tri Tra Trullala, so der Titel der Ausstellung, ist keine lustige Kasperltheaterschau für Kinder, sondern ein beeindruckendes kulturgeschichtliches Panorama von den Anfängen, die man im persischen Raum vermutet, bis in die 1960er Jahre.
Zunächst wurde nur für Erwachsene gespielt. Da war der Kasper noch ein gewalttätiger und durchtriebener Kerl. Weil das Puppenspiel die Menschen zu allen Zeiten bezauberte, eignete es sich von Anfang an zur Indoktrination. Mal verkaufte der Kasper die herrschende Staats- oder Glaubenslehre, mal gab er den aufsässigen Untertan, der über die Mächtigen herzieht. Dazu wechselt über die Zeiten das Personal und neben Teufel und Krokodil treten Figuren auf, die vertraute Feindbilder verkörpern: Ein furchterregender Türke steht für die Angst vor den Moslems, „der Mohrenfürst“ mit übertrieben negroiden oder äffischen Gesichtszügen ist Ausdruck europäischer Überheblichkeit im Zeitalter des Kolonialismus.

Rassistische Ausfälle


Die Puppentheaterstücke des heute noch hoch geschätzten Franz von Pocci (1807 bis 1876) sind voll von rassistischen und antisemitischen Ausfällen. „Der Jude“ hatte schon Anfang des 20. Jahrhunderts Gesichtszüge, die später Julius Streicher im Stürmer hunderttausendfach verbreitete. Ein weiterer Beleg dafür, dass die Nazis nur aufzugreifen brauchten, was in der Gesellschaft längst verbreitet war.
Das 1938 gegründete „Reichsinstitut für Puppenspiel“ hatte neben dem fratzenhaften „Juden“ noch andere normierte Figuren eingeführt: Den „Meckerer“, der mit übergroßer Brille als Intellektueller gekennzeichnet ist, die „Mr. Regenschirm“ und „Mr. Lügenmaul“, zwei Karikaturen der britischen Premiers Chamberlain und Churchill. Sie gehen wiederum zurück auf die Puppenfigur „John Bull“, die bereits im Ersten Weltkrieg als Karikatur des Feindes Großbritannien beim Puppenspiel in der Armee eingesetzt wurde.
Doch die Ausstellung bietet nicht nur Beklemmendes. Man erinnert zum Beispiel an den Schweizer Carlo Böcklin (1870 bis 1934), einen Pionier des künstlerischen Handpuppenspiels, der im Schatten seines berühmten Vaters Arnold steht. Paul Klee wiederum bastelte aus Resten und Abfall Handpuppen für seinen Sohn Felix.
Ein direkter Bezug zwischen dem Puppenspiel und Marktbreit ergibt sich über den heute nahezu vergessenen Schriftsteller und Reformpädagogen Leo Weismantel (1888 bis 1964), der ab 1920 im Ort lebte und ein Werkbuch für Puppenspiele verfasste.


Ungebrochen faszinierend


Mit nach Hause nimmt man aus dem Marktbreiter Malerwinkelhaus neben interessanten kulturgeschichtlichen Informationen auch eine beruhigende Erkenntnis: Trotz Internet, Gameboy, gewaltverherrlichenden Videospielen und unzähligen Fernsehkanälen hat das uralte Spiel mit den Handpuppen nichts von seiner Faszination eingebüßt. Kinder auf der ganzen Welt lassen sich davon mitreißen und Erwachsene können sich dem kaum entziehen, sei es auch nur wegen wehmütig schöner Erinnerungen an die eigene Kindheit.
(Rudolf Maria Bergmann)
(Bis 20. November. Museum Malerwinkelhaus, Bachgasse 2, 97340 Marktbreit. www.malerwinkelhaus.de)

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