Kultur

Das Judentum spielte im Schaffen von Ernst eine wichtige Rolle. 8Foto: BSZ)

05.01.2012

Der vergessene Avantgardist

Eine Studentin begibt sich auf die Spuren des Künstlers Rudolf Ernst

Beinahe wäre der jüdische Künstler Rudolf Ernst in Vergessenheit geraten. Erst ein kleiner Holzschnitt im rekonstruierten Arbeitszimmer seines Freundes Schalom Ben-Chorin im Münchener Stadtarchiv brachte Ernsts Leben und Werk wieder an die Öffentlichkeit. Die damalige Magistrandin an Institut für Kunstgeschichte der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, Anna Sophia Messner, interessierte sich für den Urheber des Kunstwerkes, kam dadurch auf die Spuren des Künstlers. Ihre Recherchen führten sie von Deutschland über Paris bis nach Israel.
Zwar konnte die Kunsthistorikerin das Treffen mit Ernsts Sohn Michael wegen seines plötzlichen Todes nicht wahrnehmen, aber dafür half Messner die 96-jährige Freundin Ernsts, Ilana Shafir. Sie war im Besitz einer Kiste mit Mosaiken, Holzschnitten und Illustrationen aus seinem Nachlass, welche Shafir nach dem Zweiten Weltkrieg dem Kibbutz Museum in Ein Harod überließ. Durch Messners Öffentlichkeitsarbeit meldeten sich in der Folge weitere Menschen mit Kunstwerken, Briefen oder Dokumenten, die neben seiner Kunst jeden Mittwoch von 9 bis 12 Uhr und nach Vereinbarung betrachtet werden können.
Ernst wurde 1896 als Sohn jüdischer Einwanderer aus Österreich-Ungarn in München geboren, jedoch im Alter von sieben Jahren katholisch getauft. Er absolvierte eine Frisörlehre, entschied sich allerdings mit 25 Jahren Maler zu werden. Bis 1933 spielte seine Herkunft für seine Malerei keine Rolle. In einem früheren Briefwechsel verbittet er sich noch, seine Kunst mit dem Judentum in Verbindung zu bringen. Eine Einbürgerungsakte von 1932 belegt sogar seinen Wunsch nach der deutschen Staatsbürgerschaft. Die Einbürgerung wurde ihm jedoch verweigert, der Antisemitismus war bereit weit gediehen.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Ernsts steiler Aufstieg innerhalb der Münchener Kunstszene abrupt beendet. Obwohl er sich nicht mit seinen jüdischen Wurzeln auseinandersetzen wollte, wurde er durch die „Machtergreifung“ von außen an seine Identität erinnert.


Gewaltsamer Bruch


Dieser gewaltsame Bruch zeigt sich in der Ausstellung anschaulich, da die Vitrinen mit Ernsts Briefen und die Kunstwerke an den Wänden miteinander im Dialog stehen. Sind seine Gemälde bis 1930 noch klassische Bildsujets, welche das Alltagsleben in der Großstadt mit großzügigen Farbflächen im Stil des Nach-Expressionismus beschreiben, so ändert sich sein Stil unter Hitler drastisch: Auf seinen expressiven Holzschnitten sind plötzlich orthodoxe Juden zu sehen, welche hinter Stacheldraht von Bajonetten bedroht werden. „Es ist unklar, ob Ernst diese Situation selber beobachtet hat oder es ein allgemeines Bild für die Bedrohung des Judentums sein soll“, erklärt Messner.
Dennoch ist sein Bewusstseinswandel zu künstlerischem Schaffen mit religiöser Erkenntnis unübersehbar. In einem Brief an den Schriftsteller Lion Feuchtwanger, welcher im Leo-Baeck-Institut in New York ausliegt, sieht Ernst nach dem Reichskulturkammergesetz die Zeit für eine jüdische Kunstgeschichte gekommen. Aus diesem Grund rief er zusammen mit dem Religionsphilosophen Ben Chorin und der Künstlerkollegin Maria Luiko 1935 das „Münchener Marionettentheater Jüdischer Künstler“ ins Leben. Innerhalb dieses Kulturbundes schufen sich Juden in jener Zeit in Synagogen eigene Kulturzentren. Das Marionettentheater diente dabei als Ersatz für Oper oder Theater und fand in der jüdischen Münchener Presse lobend Erwähnung.
Internationalen Erfolg feierte Ernst 1936 mit einer Bilderbibel, welche aktuell in Israel ausgestellt ist. Diese Holzschnitte aus dem Buch Tobit und Hiob sind ein Symbol der Rückkehr zu seinen jüdischen Wurzeln und fanden weltweit anklang. Grund: Die Bibel bedarf keiner Texte, sondern lässt die Bilder für sich sprechen.


Flucht nach Jugoslawien


Sein schönstes Werk ist jedoch eine Holzuhr, welche er 1935 als Geschenk an Ben Chorin nach Jerusalem schickte und jetzt im Stadtarchiv ausgestellt ist. Auf dem silbernen Ziffernblatt sind die hebräischen Zahlen und die Löwen Judas zu sehen. Auf der Peripherie sind die segnenden Hände der Kohanim, der Davidstern, das Waschbecken und die Kanne der Leviten sowie der Menora abgebildet.
1938 gelang Ernst mit seiner Familie die Flucht nach Jugoslawien. Dort wollte er eine Kunstschule eröffnen, wie seine ausgestellten Manuskripte belegen. Nach München komme er nicht mehr zurück, schrieb er auf einer Postkarte. Bevor er seine Pläne umsetzen konnte, marschierten 1941 deutsche Truppen in das Land ein. Ein Jahr später nahm er sich das Leben.
Ernst war ein Avantgardist seiner Zeit. Messners Recherchen belegen, wie seine Werke zusammen mit Bildern von Max Ernst ausgestellt wurden und er 1929 in der hoch angesehenen Künstlergruppe „Die Juryfreien“ in der Prinzregentenstraße 2 aufgenommen wurde. Obwohl eines seiner Werke in der städtischen Galerie Lenbachhaus die Säuberungsaktionen der Nationalsozialisten überstand, ist Ernst in Vergessenheit geraten. Dabei ist sein Schicksal exemplarisch für die Generation deutscher Juden, welche sich ihrer Herkunft bis zum Beginn des Dritten Reichs kaum noch bewusst waren. Jetzt sind die Freunde wieder vereint – dank eines kleinen Holzschnittes.
(David Lohmann) Bis 31. Januar. Geöffnet ist mittwochs 9 bis 12 Uhr und nach Vereinbarung

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