Kultur

Jan Brueghel d. Ä.: "Aeneas in der Unterwelt", um 1600. (Foto: Museum of Fine Arts, Budapest, 2012)

28.03.2013

Die Illusion des allumfassenden Weltbilds

Große Sonderausstellung über Jan Brueghel den Älteren in der Alten Pinakothek in München

Verwandtschaftsbeziehungen sind manchmal schwerer zu durchschauen als die Infinitesimalrechnung. Darum vorab ein paar unverzichtbare Basics: Der berühmteste Vertreter der Künstlerfamilie Brueghel ist Pieter Brueghel der Ältere, genannt Bauern-Brueghel (gestorben 1569). Danach kommt – was die Bedeutung angeht – lange Zeit nichts und dann sein Sohn Jan, genannt Blumen-Brueghel (1568-1625), der zwar der jüngere von Pieters beiden Künstler-Söhnen war, aber trotzdem Jan Brueghel der Ältere heißt. Wie das? Ganz einfach, um ihn zu unterscheiden von seinem eigenen Sohn Jan, der logischerweise Jan Brueghel der Jüngere ist, uns aber hier nicht weiter interessieren muss. Weil er ohnehin nur unter ferner liefen rangiert, ebenso wie Abraham Brueghel oder Pieter Brueghel der Jüngere.
Kurzum: Kennen muss man eigentlich bloß Pieter den Älteren, nur Kenner kennen darüber hinaus noch Jan den Älteren. Zum Beispiel aus der Alten Pinakothek in München, die viele Werke dieses Künstlers besitzt und einige davon auch ständig präsentiert. Zwar nur im weniger prominenten Westflügel des Erdgeschosses, aber dafür findet sich in dieser Abteilung, gut versteckt, ein echtes Filetstück: Ein kleines Bild, auf dem dargestellt ist, wie Jonas dem Rachen des Walfischs entsteigt, und das in seinem durchgängig aufgewühlten Pinselduktus nicht nur die Erregung der Situation vergegenwärtigt, sondern das „Heilsgeschehen“ selbst mit der amorph-flutenden Prozesshaftigkeit der umgebenden Natur verschmilzt.
Jetzt hat man dieses singuläre Werklein zeitweilig in den Ostflügel der Pinakothek gehängt: In der großen Sonderausstellung über Jan Brueghel den Älteren wurden die Bestände des Hauses mit Leihgaben angereichert. Die Hauptattraktionen stammen gleichwohl aus der Pinakothek: Jene eigentümlichen Weitwinkel-Landschaften, die, in grell verblauender Ferne gern von Tolkien-haften Gebirgszügen bekränzt, oft von schräg oben gesehen sind. Dank dieses virtuosen „Tricks“ entsteht mit der Notwendigkeit alles wirklich Suggestiven die Illusion eines allumfassenden Weltbildes, wie man sie, mit größerem Ernst, aus Altdorfers „Alexanderschlacht“ kennt. Und ähnlich wie dort, sind Brueghels Hafenszenen oder Fischmärkte häufig noch von einem überbordenden, bunten Figurengewimmel bevölkert.
Hier zeigt sich ein fast schon „hypotaktisch“ anmutender erzählerischer Detailreichtum, der, um im gattungsübergreifenden Bild zu bleiben, an Rabelais ebenso gemahnen könnte, wie man ihn, gut anachronistisch, mit Sterne oder Jean Paul zu assoziieren Lust hat.
Solche literarischen Anklänge entstehen natürlich nicht ganz zufällig; denn es ist gerade die Verbindung der scheinbar rahmensprengenden Gegenstands-Vielfalt, des manisch narrativen, bis in mikroskopische Details gehenden Einzelheiten-Gepuzzles, mit dem pathetischen, ja auch Exzentrischen Gestus einer umfassenden Allheits-Darstellung. Die verzweifelte Attitüde, buchstäblich den Erdkreis ins Bild zu zwingen, verbindet sich mit disparatem Detailgewusel zu einem bizarren Einklang. Gerade dadurch wirkt Jan Brueghel der Ältere zutiefst manieristisch, weswegen man es immer kaum glauben kann, dass er ein Zeitgenosse von Rubens war. Wo letzterem Ausschnitte der „Wirklichkeit“ – sei’s Löwenjagd oder Frauenraub – wie von selbst zu welthaltigen Dramen werden, in denen sich ein ganzer Kosmos mühelos spiegelt, versucht sein Kollege (und Freund) Sisyphus-gleich eine geschlossene, fassbare Welt zu rekonstruieren, die ihm unter der Hand in tausend Splitter zerbirst.
(Alexander Altmann) Alte Pinakothek, täglich geöffnet außer montags von 10 bis 18 Uhr, bis 16. Juni.

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