Kultur

Das Herzstück der neuen Pariser Philharmonie, der große Konzertsaal mit 2400 Sitzplätzen. Sehen Sie eine größere Ansicht und weitere Fotos von Konzertsälen in der Bildergalerie am Ende des Beitrags. (Foto: Peter Meisel)

10.02.2017

Die Suche nach dem richtigen Klang

Bei der Europa-Tournee der BR-Symphoniker zeigt sich: Architektonischer Pomp geht oft zulasten der Akustik

Wer akustisch hochwertige Konzertsäle erleben will, muss nach Polen reisen. Jedenfalls stehen im kleinen Breslau und in der einstigen Kohlestadt Kattowitz zwei starke Klangvisionen. Sie lassen andere neue Großprojekte dieser Art ziemlich alt aussehen. Das zeigte eine Tournee des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (BR), die unter dem Chefdirigenten Mariss Jansons durch europäische Nachbarländer führte. In den vergangenen zwei Jahren sind die Säle in Breslau und Kattowitz eröffnet worden – pünktlich und erstaunlich günstig. Beide zählen zirka 1800 Plätze. Yasuhisa Toyota von Nagata Acoustics betreute den Saal in Kattowitz, wohingegen Tateo Nakajima von Arup (vormals Artec) in Breslau wirkte. Sie sind zwei Star-Akustiker, die auch für den neuen Konzertsaal in München infrage kommen. Für den Breslauer Saal kreierte der japanischstämmige, gebürtige Kanadier Nakajima eine klassische Schuhschachtel, ergänzt um Echokammern und eine verstellbare Deckenhöhe. Ob kleine oder große Besetzungen, Originalklang, Romantik oder neue Musik: Der Saal lässt sich variabel anpassen. Das gilt auch für das schweizerische Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL), wo Nakajima einst ebenfalls mitgemischt hatte. Betreut hat Nakajima außerdem den neuen Konzertsaal im kanadischen Montreal – dort verzichtete er auf Echokammern. Kent Nagano, der frühere Staatsopern-GMD in München, stand bei der Eröffnung des Saales in Montreal 2011 am Pult. Im vorigen Frühjahr konzertierte dort erstmals Mariss Jansons mit den BR-Symphonikern. Etwas hallig und breit klingt der Saal, anders als Breslau, wo ein wärmeres, differenzierteres Klangbild hörbar wird.

Klassische Schuhschachtel

Dagegen hat Toyota in Kattowitz die klassische Schuhbox partiell um Weinberg-Elemente ergänzt: Beim Weinberg steigen die Ränge rund um die Bühne steil an. Das Ergebnis in Kattowitz ist eine mehr analytisch-sezierende Akustik, in dem die Instrumente klar durchhörbar sind. Gleichzeitig entwickelt sich im Raum ein volles Klangvolumen. Von BR-Musikern war zu hören, dass sie sich in Kattowitz auf der Bühne insgesamt besser wahrnehmen konnten als in Breslau. Dafür aber wurde der Breslauer Saal bisweilen als wärmer im Klang empfunden. Im Vergleich zur neuen Philharmonie in Paris, die 2015 eröffnet wurde und eine Station auf der aktuellen BR-Tournee war, erscheint diese Diskussion unerheblich. Dort nämlich zeigt sich, was passiert, wenn dem architektonischen Schein mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als der Akustik. Oder der reinen Funktionalität.
Allein der Backstage-Bereich wurde an den Bedürfnissen der Musiker vorbeidesignt. Das Ergebnis ist totaler Murks: In den Gängen verirrt man sich wie in einem Labyrinth. Die Kantine für die Musiker erinnert an eine „Ikea-Kinderwelt“. Für die Instrumente gibt es keine schnelle und sichere Aufbewahrung in der Pause, und ein Flügel lässt sich nicht problemlos auf die Bühne schieben. „Wie kann so etwas passieren? Das sind Anfängerfehler“, ärgerten sich einige BR-Musiker. Selbst der ziemlich öde Backstage-Bereich im neuen Konzertsaal in Breslau ist ungleich besser als in Paris. Zudem berichten BR-Musiker, dass sie sich in Paris auf der Bühne schlecht gehört hätten. Im Saal dagegen klangen die Streicher recht flächig und diffus, umso direkter die Bläser sowie das Schlagwerk. Drei Akustiker haben in Paris herumgetüftelt: Harold Marshall, Kahle Acoustics aus Belgien und Toyota. Das mag die klangliche Indifferenz erklären.

Tücken der Höhe

Ähnlich wie in der neuen Elbphilharmonie in Hamburg, wo die BR-Symphoniker erstmals im Mai gastieren werden, ist der Raum der Pariser Philharmonie zudem gewaltig hoch. Bis zum großen Pendelpilz gibt es in der Hamburger „Elphi“ keine Schallreflektoren – was für das Zusammenspiel tückisch ist. Toyota, der in Hamburg das akustische Design entworfen hatte, wollte die Deckenhöhe minimieren. Die Stadt und die Architekten wollten das hingegen nicht. Tatsächlich zeigen die Konzertsäle in Breslau und Kattowitz, dass oftmals das Schlichte und Einfache besser ist. Allerdings überzeugen die Architektur und die Gestaltung in Breslau weniger als in Kattowitz. Während die Fassade des Breslauer Saals den Charme eines spröden Verwaltungsgebäudes ausstrahlt, reflektiert der junge Architekt Tomasz M. Konior in Kattowitz mit der Backstein-Fassade die Geschichte der Arbeiterstadt.

Münchner Konzertsaal: Schlappe beim Architektenwettbewerb
Im kommenden Jahr soll der Bau des neuen Münchner Konzertsaals auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände hinter dem Ostbahnhof beginnen. Schon in diesem Mai soll feststehen, wer das Haus entwerfen soll. Im Architektenwettbewerb hat der Freistaat Bayern nun allerdings teilweise eine Schlappe erlebt. Die Vergabekammer der Regierung von Oberbayern kam der Beschwerde des Münchner Stararchitekten Stephan Braunfels nach, der gegen seinen frühzeitigen Ausschluss aus dem Wettbewerb vorgegangen war. Das unabhängig agierende Gremium untersagte dem Freistaat, „vor einer Neubewertung der Bewerbung von Professor Braunfels die in der Ausschreibung für die besten Bewerbungen vorgesehenen Preise zu vergeben“, sagt der Sprecher der Regierung von Oberbayern, Martin Nel. Einen weitergehenden Antrag von Seiten Braunfels’ zur Aufhebung des gesamten Wettbewerbs habe die Kammer zurückgewiesen. Das bayerische Kultusministerium betonte, die Entscheidung der Vergabekammer betreffe nicht den Wettbewerb insgesamt, sondern ausschließlich die Bewerbung des Büros Braunfels.
Sechs renommierte Architektenbüros hatte der Freistaat als Bauherr selbst für die Teilnahme ausgewählt, darunter Jacques Herzog/Pierre de Meuron aus der Schweiz, die die Hamburger Elbphilharmonie projektiert hatten. Daneben hatten 205 Architekten aus 18 Ländern ihre Bewerbungen eingereicht. 29 von ihnen wurden vom Staatlichen Bauamt eingeladen, Braunfels nicht. (dpa/BSZ)

Überdies steht in Kattowitz der Saal inmitten eines großangelegten, neuen Kulturareals. Diese städtebauliche Vision ist viel stärker als das vergleichsweise mickrige Werksviertel hinter dem Münchner Ostbahnhof. Welcher Saal führt das Ranking an? Für München wünschen sich manche BR-Musiker ein „Mittelding aus Kattowitz und Breslau“ – was die Akustik betrifft. Hoffentlich finden solche Wünsche Gehör. Denn beim jetzigen Saal-Wettbewerb sitzen nur Politiker und Architekten in der Jury. Weder Jansons noch die BR-Symphoniker haben ein Stimmrecht, obwohl sie gewiss die meiste Ahnung haben von der Klangwirkung im Raum. Eines steht fest: Architektonischer Pomp wie in Hamburg oder experimentelle Klügelei wie in Paris schaden in der Regel der Akustik. (Marco Frei)

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