Kultur

Christian Hofmann ist Oberpfälzer und vermag den Knecht Wenzel authentisch zu spielen. (Foto: Theater)

12.11.2010

Die Wucht des Evangelisten

Werner Fritschs "Cherubim" kehrt zurück, wo es entstand – in die Oberpfalz

Das von Holzbalken gestützte Dachgeschoss der Regionalbibliothek in Weiden hat sich in einen Wald verwandelt. Der Boden liegt voller Herbstlaub, einziges Requisit ist ein Hackstock. Wenzel Haindl tritt auf, Bauernknecht aus Wondreb, im schwarzen Sonntagsanzug, mit Hut und Hacklstecken. Er zieht ein Bein nach, ein Leben lang schon – Kinderlähmung. Verschmitzt ist sein Gesicht, schalkhaft der Blick, und fulminant der Monolog, der nun anhebt. Er beginnt mit der Wucht eines Evangelisten: „Und da war nichts am Anfang. Und war doch wie ein Loch. Ein Was wie ein Urloch.“
1987 erschien dieser Monolog als Roman Cherubim des damals 27-jährigen Autors Werner Fritsch. Aufgewachsen auf einem Einödhof nahe der tschechischen Grenze, hatte er bereits als Jugendlicher damit begonnen, die höchst wunderlichen Erzählungen von Wenzel Haindl, dem Großvater-Ersatz, aufzuzeichnen. Jahrelang bearbeitete er das Material, ehe es gleich bei Suhrkamp erschien. Auf einen Schlag war Werner Fritsch bekannt, ganz Literatur-Deutschland wusste nun von einer neuen, bis dato völlig unbeschriebenen magischen Wort-Landschaft, der nördlichen Oberpfalz nämlich.
Es ist das Verdienst Werner Fritschs, dieser Region eine Sprache verliehen zu haben. Sie zum Klingen zu bringen haben schon Staatsschauspieler in München und der Wiener Sprecher Helmut Vogel auf der Hörbuch-Edition von Cherubim versucht, durchaus eindrucksvoll.

Wie Simplicissimus

Doch so wie Christian Hofmann den Wenzel spielt, ist er am authentischsten. Hofmann, dessen Urgroßmutter Dienstmagd in Wondreb war, ist nun mal Oberpfälzer und somit stehen ihm nicht nur die exakten Mundart-Lautungen zur Verfügung, viel entscheidender ist wohl, dass er jene Mischung aus Unaufgeregtheit, Sturschädeligkeit, Bauernwitz und trockenem Humor mitbringt, die diesen Menschenschlag charakterisiert.
Was Wenzel erzählt, ist abenteuerlich, poetisch und von (gestellter?) Naivität, dass einem der Grimmelshausen’sche Simplicissimus einfallen mag. Er erklärt nicht nur die Entstehung der Welt, sondern berichtet auch vom entbehrungsreichen Leben bitterarmer Taglöhner. Die Politik spielt hinein, das Dritte Reich, in dem er als körperlich Behinderter als „lebensunwert“ gefährdet war. Beim Bau der Gleise Richtung KZ Flossenbürg musste er helfen, schließlich drohte ihm, selbst dort zu landen, aber vorher entzog er sich durch eine abenteuerliche Flucht nach „Afrika“ zu den „Löwentigern“ und „Zottelkapuzinern“. Damit ist man schon wieder im surrealen Fabulierkosmos des Wenzel gelandet, in den überzuwechseln Christian Hofmann erkennbar diebische Freude macht.
Das neu gegründete Landestheater Oberpfalz hat Wiedergutmachung an Werner Fritsch geleistet. Die zahlreichen Stücke des Autors, der mittlerweile in Berlin lebt, werden von China bis Neuseeland gespielt, nur in der Oberpfalz nicht. Das ist nun anders, dank Intendant Matthias Winter, der bei Cherubim selbst die Regie führte. Er und seine Truppe sind dabei, die prägende Oberpfälzer Theaterinstitution zu werden. Vier Spielstätten bedient man, und dezidiert zur Aufgabe will man es sich machen, hiesige Stoffe und Autoren auf die Bühne zu bringen. (Bernhard Setzwein)

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