Kultur

Die bitterböse Komödie "Die Fahnenweihe" inszenierte Michael Lerchenberg im vergangenen Jahr und spielte auch selbst den Postwirt Schlegel. (Foto: Luisenburg Festspiele)

14.08.2014

"Diese Felsen sind gnadenlos!"

Michael Lerchenberg über Volksschauspieler und das Problem, dass eine kleine Stadt Deutschlands größte Freilichtspiele ganz alleine stemmen muss

Die diesjährige Festspielsaison auf der Luisenburg nähert sich ihrem Ende. Die Felsenbühne ist ideal für Volkstheater. Intendant Michael Lerchenberg kämpft sich aber nicht nur durch Inszenierungen – er zückt auch den Säbel hinter den Kulissen: wenn es darum geht, von der Staatsregierung finanziell nicht benachteiligt zu werden.
BSZ Herr Lerchenberg, Sie haben drei Mal die Sommerakademie für Bairisches Volksschauspiel geleitet. Einige der Schauspieler standen auch schon auf der Felsenbühne. Ist die Luisenburg eine Art Nukleus für Volksschauspieler? Michael Lerchenberg Ja, kann man so sagen. Wobei: Ich mach’ Volksschauspiel ja nicht an einem Dialekt fest. Der Volksschauspieler Harald Juhnke war Berliner. Katharina Thalbach ist eine Volksschauspielerin mit Berliner Schnauze. Jan Fedders ist ein Volksschauspieler von der Küste. Ein Volksschauspieler ist für mich eher einer, den das Volk mag, den es liebt, der auch via Fernseher zu Gast im Wohnzimmer ist, in der Küche, womöglich im Schlafzimmer. BSZ Die also ins Haus kommen, fürs Zuhause stehen. Definiert auch der Dialekt dieses Heimat-Verständnis? Lerchenberg Ganz genau. Egal ob in Berlin, Hamburg, München, Nürnberg: Der Dialekt ist im Gegensatz zur Hochsprache die emotionale Ausdrucksform. Ich mag das ja sehr, wenn Theater über den Bauch in den Kopf geht und nicht umgekehrt. Der Weg von unten nach oben ist mir lieber. Für diesen Weg ist das Volksschauspiel prädestiniert. BSZ Für Sie ist die Luisenburg ja auch eine Volkstheaterbühne. Lerchenberg Hier hat man das Volkstheater sehr früh, nämlich 1926, für sich entdeckt. Das hängt mit diesem einmaligen Theaterraum zusammen, der Klarheit im Ausdruck braucht. Hier geht keine Gesellschaftskomödie. Auch leichtes Parlando an der Seite weg funktioniert hier nicht. Die Ausdrucksform muss eine klare sein, eine gradlinige. Da ist man dann rasch bei einem gut gemachten Volksstück, aber auch beim Klassiker. Auch der erfordert eine klare Haltung. BSZ Weil auch die Felsen, die Bäume, die ganze Landschaft klar und geradlinig sind? Lerchenberg Diese Steine lieben einen. Egal, ob es der Schauspieler ist, der Regisseur oder der Bühnenbildner. Aber sie zwingen einen in der Tat zur Klarheit. Man kann auf dieser Bühne nicht lügen. An jedem Staatstheater kann man sich mal aus einem Stück oder aus einer Rolle rausschwindeln. Das geht hier nicht. Diese Felsen sind gnadenlos. BSZ Um Heimat, ums Zuhausesein ging es auch in dieser Spielzeit. Lerchenberg Glaube und Heimat stammt aus dem Jahr 1910, aber was der Autor Karl Schönherr da zeigt, ist schrecklich aktuell. Fanatische Glaubenskrieger, Menschen werden vertrieben, weil sie eine andere Ansicht, eine andere Religion haben. Andere profitieren kaltlächelnd von deren Not. Das alles sind schon erschreckende Parallelen. Dem Schönherr ist da ein ganz modernes Stück gelungen: Figuren fast wie vom Brecht. Verblüffend modern, radikal, wild. Das passt natürlich in seiner Radikalität und Wildheit wunderbar hierher. Schönherr zeigt Politik an den Betroffenen. BSZ Auch die „Comedian Harmonists“ werden von der Politik getroffen. Lerchenberg Man muss sich das einmal vorstellen: Da finden drei Arier und drei Juden zusammen, werden die beste Boygroup der Welt, entwickeln einen einmaligen Musikstil, haben Erfolge, und dann kommt eine Reichskulturkammer und sagt: Das war’s jetzt. Weil’s eine Ideologie gibt. Da heißt’s dann plötzlich: so, Schluss, aus. Dann gehen sie auseinander. Sehen sich nie wieder. Finden nie wieder zusammen. Das ist schon auch große Tragik. BSZ Sie selbst scheinen auch zwei Heimaten zu haben: Sie sind Münchner und Wunsiedler. Mit Verve streiten Sie für die Region rund um die Luisenburg. Lerchenberg Ja. Muss ich. Ich habe schnell begriffen, dass ich hier nicht nur Kunst machen kann wie ein Fettauge, das obendrauf schwimmt im Fichtelgebirge. Und dann nach drei Monat fahren wir wieder heim und das war’s dann. Luisenburg ist mehr. Wir haben nicht nur einen kulturellen Auftrag, sondern wir sind hier auch Botschafter für die Region, stehen für diese Region, werben für diese Region. Und beschäftigen uns deshalb auch zwangsläufig mit den Strukturproblemen der Region. Dazu habe ich den Vorteil, dass ich neun Monate im Jahr in München lebe und drei Monate Teilzeitoberfranke bin. Dadurch habe ich immer einen Vergleich. Wenn es beispielsweise in München manche Straßen gäbe wie hier im Fichtelgebirge, wär’ der Teufel los. Das würde sich in München keiner bieten lassen. Der Mainstream der Politik der Staatsregierung war lange, die zwei Metropolregionen zu fördern. Und der Rest kann schauen, wo er bleibt. Da schmeiß ich mich also rein ins Gefecht und ziehe den schweren Säbel. Man muss die Leute schon auch wachrütteln. BSZ Sie kämpfen auch für die Stadt Wunsiedel als Träger der Festspiele. Lerchenberg Was eh der Wahnsinn ist. Ich habe hier 80 Prozent Einspielergebnis. Das gibt es bei Weitem an keinem bayerischen Stadttheater oder Staatstheater. Und dennoch trägt eine kleine Stadt mit weniger als 10 000 Einwohnern wie Wunsiedel, die keinen genehmigten Haushalt hat, voll das Risiko der größten deutschen Freilichtspiele mit im Schnitt allsommerlich 136 000 Zuschauern. Ein unglaubliches Engagement. Aber bei 10 000 Besuchern mehr oder weniger zerreißt’s uns hier gleich die Hose. Dieses Risiko in diesem hohen Maß kann so nicht bleiben. Das muss man auch nach München kommunizieren. Der Erfolg gibt uns ja schließlich Recht. Die Leute kommen – und sie kommen von weit her. Und das heißt: Wir sind ein großer Imagefaktor für die Region. (Interview: Christian Muggenthaler)

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