Kultur

02.03.2012

Doktorspiele am Staatstheater

"The Vibrator Play" am Münchner Cuvilliéstheater erzählt die Geschichte der Orgasmus-Therapie

Von nebenan kommt erst ein Brummen und dann lautes Stöhnen. Was macht ihr Mann da im Labor nur mit seinen Patientinnen? Diese Frage treibt die Gattin von Dr. Givings um, der 1880 den strombetriebenen Vibrator erfindet und mit diesem damals rein medizinischen Instrument Hysterikerinnen heilt. Jedenfalls dringt Frau Givings, als der Gatte aus dem Haus ist, ins versperrte Behandlungszimmer ein – gemeinsam mit einer Patientin, die ihr die Funktion des elektrischen Wunderdings erklären soll. Und bald kriechen sich die Damen gegenseitig unter die langen Röcke, um an einander rumzuvibrieren bis der Arzt kommt.
Das ist nicht der Plot eines deutschen Porno-Films aus den 70ern, sondern eine Szene aus Sarah Ruhls Nebenan – The Vibrator Play (2009), einer gut gebauten Boulevardkomödie, die jetzt am Münchner Cuvilliéstheater ihre deutschsprachige Erstaufführung erlebte. Und zu lachen gibt’s tatsächlich viel in dieser freudianisch angehauchten Unterleibs-Groteske über die Frühzeit der Elektrifizierung, in der nebenbei auch die Frage behandelt wird, Gleichstrom oder Wechselstrom „tödlicher“ ist.
Unschlagbar komisch wirkt etwa die Szenen, wo der Doktor (Norman Hacker) bedeutungsvoll den Stecker in die Dose drückt und dann mit medizinischer Nüchternheit und Blick auf die Stop-Uhr einer Patientin (Carolin Conrad) das Föhn-artige Rüttelgerät zwischen die züchtig verhüllten Beine hält, um auf diese Weise die so heilsamen „Paroxysmen“ bei ihr auszulösen – bis die Sicherung rausfliegt! Für diese Doktorspiele am Staatstheater hat Bühnenbildnerin Janina Audick liebevoll eine naturalistische Fin-de-Siècle-Arztpraxis gebaut – nebst angeschlossenem Salon mit Klavier und Teetisch. Ein Großbürger-Puppenhaus, bevölkert von trippelnden Weibchen und gravitätischen Herren. Natürlich ist die einzig „gesunde“ Figur in diesem Hysteriker-Haufen die schwarze Amme Thelma Buabeng), deren Milch der pedantische Doktor („er hält immer einen Extra-Schirm für den Notfall bereit“) erst mal einer chemischen Analyse unterzieht, ehe er an ihr nippt und sie für tauglich befindet.
Sicher, es ist keine Kunst, sich lustig zu machen, über die verklemmte Belle Epoque mit ihrer medizinisch verbrämten Orgasmus-Therapie für Upper-Class-Damen. Und elektrisierend wirkt Barbara Webers sehr metiersichere, aber konventionelle Inszenierung auch nur phasenweise, weil das Gag-Potential des Stoffs doch relativ rasch erschöpft ist. Als Arztgattin ist Hanna Scheibe jedoch mit ihrer kraftvoll-filigranen Komik das Ereignis des Abends, ein pumuckelhaftes Plappermäulchen zum Verlieben, beherzt neurotisches Kindchen und flattrige Draufgängerin in einem. Und so verlässt man diese Elektro-Posse zumindest mit leidlich durchgerütteltem Zwerchfell.
(Alexander Altmann)

Kommentare (2)

  1. skywalker am 05.03.2012
    Das prüde Bayern sollte froh um jegliche Inszenierungen dieser Art sein. Auch wenn der Akt ansich für das münchener Publikum anscheinend mal wieder spielerisch interpretiert dargestellt wird ist es immerhin ein Anfang. Die Frage ist dennoch, ob eine Schauspielerin, die sich selbst als 'verklemmt' (SZ) bezeichnet hier die richtige Besetzung ist.
  2. Frau Müller am 02.03.2012
    Das Theaterstück klingt lustig. Schade, dass die Idee augenscheinlich nicht ausreicht für einen ganzen Theaterabend.
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