Kultur

Höhepunkt der diesjährigen Salzburger Festspiele ist Janaceks "Die Sache Makropulos" mit Angela Denoke als Emilia Marty. (Foto: Walter Mair)

19.08.2011

Ein Leben für und vom Wolferl

Ein Spaziergang durchs festspielende Salzburg

Dem zierratlosen Gilet nach könnte das der kleine Wolferl sein, der da gegenüber dem Tomaselli kopfüber auf dem Klavier eingenickt ist, die Linke hält einen Zettel „Pause“. Ist er erschöpft von einer Stippvisite in seiner musikalisch und szenisch arg vergröberten Oper Le Nozze di Figaro? Versöhnt haben könnte er sich mit dem präpotenten Engel, den er gar nicht komponiert hat, als der Cherubim dem Conte Almaviva in den Allerwertesten tritt. Die Menschheit hat doch gesellschaftlich-soziale Fortschritte gemacht seit Anno Domini 1781, als Graf Arco so despektierlich den erzbischöflichen Hofmusikus die Stiege hinunter beförderte.
Treibt einen zu anderer Stunde der Touristenstrom wieder über den Alten Markt, sitzt der Schlummernde aufrecht vor seinem Instrument: nicht Wolfgang Amadeus, sondern eine Muppetpuppe. An den Fäden eines virtuosen Marionettenspielers schlägt sie zu Musik aus dem Kofferradio die Tasten, macht artig den Diener bei den sie traumverloren umringenden Kindern, wenn sie Münzen in eine Schale legen und über den Wuschelkopf streicheln: Beflügelung der Phantasie, Verzauberung, wie sie auch dem technisch und musikalisch so vollkommeneren professionellen Marionettentheater nicht wirkungsvoller gelingen.
Die ganze von Menschenmengen bevölkerte Altstadt, rechts der Salzach Park und Schloss Mirabell: Überall mischen sich Klänge von Straßenmusikanten oder Bläsergruppen aus Biergärten und Plätzen in das polyglotte Stimmgewirr. Und wenn der Himmel seine Schleusen öffnet, was er in diesen Wochen gern tut, da suchen die Musiker prestissimo ein Dach über Instrument und Kopf: in den Durchhäusern, unter Torbogen und Arkaden am Domplatz.

Unsterbliche Totgeburt

Dort nahm vor 91 Jahren mit sechs Jedermann-Aufführungen der Welt größtes Kulturspektakel seinen Anfang – und immer noch ist Hofmannsthals Dichtung das Herzstück der Festspiele, aller geistreichen und hämischen Verrisse zum Trotz. Wie recht hat doch Hans Weigel in seiner letzten Klage über die „unsterbliche Totgeburt“: „Es wird ein Jedermann sein und wir werden nit mehr sein.“
Mozarts Opern in Salzburg: Da darf man Äußerstes erwarten, sonst gibt man einen Qualitätsanspruch auf. Ignorieren wir ausnahmsweise Inszenierung und Szenerien (von ihnen kann man sich in der instruktiven Ausstellung zum 85. Geburtstag des Bühnenbildners Günther Schneider-Siemssen erholen) und wundern wir uns ein wenig, dass Don Giovanni und Le Nozze di Figaro dem Orchestra of the Age of Enlightenment beziehungsweise Les Musiciens du Louvre anvertraut wurden – und über die Nonchalance, bei der Eröffnungspremiere den blutjungen Robin Ticcicati debütieren zu lassen. Bei Straussens Frau ohne Schatten und Janaceks Sache Makropulos erlebte man dank Dirigenten und der Wiener Philharmoniker ein singuläres Orchesterfest, und die Frage drängte sich auf: Lebt Salzburg für oder von Mozart, im Vertrauen auf seine Unverwüstlichkeit?
Die Janacek-Rarität Sache Makropulos geriet zu einem Höhepunkt der Festspiele 2011. Esa Pekka Salonen realisierte mit den Wiener Philharmonikern und einem exquisiten Ensemble traumwandlerisch sicher das magische Patchwork von unendlichen Mini-Motiven, Klangfolgen, Harmonien und Rhythmen. Auch intensive Expression reduzierte die Oper nicht auf ein raffiniertes Accompagnato-Rezitativ, Arioses blühte auf, opulent die finale Klangpracht. Mit großem Elan, Leidenschaft und Kühle gestaltet und singt mit ihrem Wundersopran Angela Denoke die „unsterbliche“ Elina, tiefbewegend in ihrem Plädoyer für die Notwendigkeit unserer irdischaen Begrenzung. Sie trägt die Aufführung, die Christoph Marthaler ganz Unmarthalerisch inszeniert hat. Der Spezialist für DDR-Mief, schäbiges Wohnküchenmilieu ließ seine Geistesschwester in Sachen Bühnenbild, Anna Viebrock, weder Blümchentapeten kleben noch Abfalleimer aufstellen: Er erzählt akribisch und psychologisch fesselnd die Story in einem gar nicht schmutzstarrenden Gerichtssaal. Ein paar skurrile Figuren, unnütze pantomimische Choreografien kann er sich nicht verkneifen, aber sie beeinträchtigen nicht die theatralische und vokale Souveränität Angela Denokes.
Riccardo Muti war 1972 nach Mehta, Maazel, Abbado und Ozawa die letzte Dirigenten-Entdeckung Karajans für Salzburg. Zu seinem 70. Geburtstag dirigierte er nun Verdis Requiem als Schreckensoper über Todesangst, keine kirchenmusikalisch fromme Bitte um Gnade, nur Schauder vor dem Jüngsten Gericht, heftigste Seelenerregung vor dem Lebensende, hoffnungsungewisses Verstummen im „Libera me“. Ungewöhnlich, überrumpelnd grandios.

Nichts als Fakten

Macbeth wirkte matter. Der Regisseur Peter Stein will nicht interpretieren wie derzeit en vogue, sondern „Fakten zeigen“: also unverfremdet Geschehen und Charaktere, wie sie die Autoren schufen. In der Felsenreitschule, ihm vertraut seit seinem Shakespeare-Zyklus mit den Römer-Dramen, spürt er den Stratforder in Verdis Musik auf, gibt aber auch der „Oper“ in farbenfrohen Tableaus und menschlichen Aktionen ohne Interessantmacherei, was der Oper bis zum Einbruch des Regietheaters zueigen war – so haben etwa auch die Hexen perfekte Schließmuskel und müssen nicht pinkeln wie bei Ku(s)ej im Münchner Nationaltheater. Zeljko Lucic und Tatiana Serjan vermitteln packend, wie Verdis Singen aus einer nächtlichen finsteren Welt kommt, Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker beschwören den dunklen Grundton von des jungen Verdis Ringen um Shakespeares düsterstes Drama. Warum Muti wohl die sonst gnädigerweise gestrichene end- und belanglose Ballettmusik spielt? Das Drama büßt seine Stringenz ein. Und die Größe.
Noch wird das Programm der erstmals von Alexander Pereira verantworteten Festspiele 2012 wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Doch was entgeht Hackern? Nikolaus Harnoncourt soll die Eröffnung mit der Zauberflöte leiten und Ivor Bolton mit der Exhumierung ihres „zweiten Teils“ Das Labyrinth (1798) das Publikum überzeugen, dass im August Salzburg eine (Peter von) „Winter-Reise“ wert ist. Für La Bohème mit Anna Netrebko sollen erste Vorbestellungen eingetroffen sein und mit Zimmermanns Soldaten wird Pereira wie seine Amtsvorgänger Mortier und Ruzicka Meisterwerke des 20. Jahrhunderts auf ihre Repertoiretauglichkeit testen. Die Hommage an Strauss als einem der Salzburger Penaten wird Ariadne auf Naxos sein – und der neue Hausherr Alexander Pereira, seit seiner Berufung befehdet und geschmäht, wird zumindest in der Rolle des „Haushofmeisters“ die bösen Zungen verstummen lassen. (Klaus Adam)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Ist die geplante neue Kindergrundsicherung sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.