Kultur

Mit Lichtspielereien verwandeln die Veranstaltungstechniker der Universität die Aura im Lichthof. Projektionen sollen zudem bei Orgelkonzerten sinnliche Wahrnehmung erweitern. (Foto: Unikult e.V.)

12.01.2018

Ein wenig Kirche und viel Kultbühne

Die Weiße-Rose-Orgel der Ludwig-Maximilians-Universität München ist ein klingendes Mahnmal, begeistert aber auch bei kultigen Events

Leises Sirren, heftiges Forte, dass die Wände zittern: Die Klangdynamik der Orgel lässt sich keinem anderen Instrument entlocken. Dabei sind Orgeln keineswegs Instrumente nur für den sakralen Ritus. Dass ein Orgelkonzert mit modernen Stücken, mit Stummfilmen und mit einer Lightshow recht profan zum Event aufgepeppt vor allem junges Publikum zu begeistern vermag, zeigt die Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie wird gerne als Königin der Instrumente bezeichnet: ihrer meist majestätischen Größe und kunstvoll-prächtigen Gestaltung wegen, und weil sie in der Regel erhaben über ihrer Zuhörerschar thront. Aber auch weil sie eine ungeheure Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten bietet, die unter den Instrumenten mit „natürlicher Klangerzeugung“ ihresgleichen nicht findet. Sie kann ganze Orchester ersetzen. Zehn Oktaven Tonumfang – das umfasst den gesamten von Menschen hörbaren Bereich. Und dann die Dynamik der Lautstärke: Da können Organisten ihr das leiseste, fast nur noch unbewusst wahrnehmbare Sirren und Grummeln entlocken – oder im heftigen Forte und mit einem Klangfarbenrausch Gebäude erschüttern. Wie sie klingt, ist abhängig von jeweiligen Raum – und der muss nicht unbedingt eine Kirche sein. Kein anderes Instrument ist so wie die Orgel speziell auf „ihren“ einmaligen Ort hin gebaut – in akustischer Hinsicht ebenso wie in ihrer raumgreifenden Gestaltung. Jede Orgel ist ein Individuum, serielle Herstellung gibt es nicht. Obendrein gibt es regionale, selbst lokale Eigenarten des Orgelbaus.

Immaterielles Kulturerbe

Ihren Ursprung hat die Orgel im hellenistischen Ägypten vor rund 2000 Jahren – heute ist Deutschland eine Hochburg des Orgelbaus und Orgelspiels. 50 000 Orgeln, 400 handwerkliche Orgelbaubetriebe mit etwa 1800 Mitarbeitern und 180 Lehrlingen sowie 3500 hauptamtliche und Zehntausende ehrenamtliche Organisten: Das ist die Bilanz, die die deutsche Unesco-Kommission nennt. Seit Dezember sind Orgelbau und Orgelmusik in Deutschland offiziell immaterielles Kulturerbe der Unesco. Freilich wird damit nicht allein die handwerkliche Leistung der Orgelbauer honoriert, sondern auch die Rolle Deutschlands in der entsprechenden Kompositionsgeschichte und der vielfältigen Aufführungspraxis.
Die größte Kirchenorgel der Welt kann man im Passauer Dom bewundern. Sie stammt von der legendären Firma G. F. Steinmeyer & Co. aus Oettingen (1848 bis 2001). Dort konnte man freilich auch in kleinerem Maßstab produzieren – was nicht gleichzeitig eine leichtere Aufgabe bedeutete. Die Orgel im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität München ist ein solches Beispiel. Sie hat ihn maßgeblich verändert: Plötzlich wurde dem Raumkunstwerk von German Bestelmeyer auch die künstlerische Akustik abverlangt. Zudem ist sie das entscheidende „Werkzeug“, als man der an sich profanen Eingangshalle eine geradezu sakrale Aura zudachte.

Sakrale Anmutung

1906 bis 1909 wurde der Lichthof im Zuge umfassender Um- und Erweiterungsbauten als repräsentatives Verbindungsglied des Altbaus von Gärtner und des Neubaus von Bestelmeyer geschaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er ein Schutthaufen. Der Not geschuldet, blieb eine Rekonstruktion der künstlerischen Ausstattung auf der Strecke – erst in jüngerer Zeit wird das teilweise nachgeholt. So erhielt die Westwand vor wenigen Wochen wieder ein Kunstfenster, das die Madonna mit Jesuskind zeigt, dem „Signet“ der Universität seit ihrer Gründung 1472. Ursprünglich blickte die Gottesmutter auf den „Brunnen der Wissenschaft“, ein Mosaik auf der Wandfläche ihr gegenüber. Jetzt thront der Himmelsgöttin die Instrumentenkönigin vis à vis. Und das in einem profanen Bau! Die sakrale Anmutung aber hatte der damalige Unirektor und Theologieprofessor Joseph Pascher durchaus im Sinn: Die Orgel sollte nämlich seine Vorstellung vom Lichthof als Gedenkort für die Widerstandsgruppe Weiße Rose untermalen. Die Orgel sollte die Stimmen der Weiße-Rose-Mitglieder dort, wo sie einst mit ihren Flugblattaktionen gegen den NS-Terror protestierten, wieder hörbar machen, in Erinnerung halten. „Der Ort der Tat ist mit dem Stempel ihres Geistes für immer geprägt.“ Wie eine eindringlich mahnende Predigt hörte sich Paschers Rede bei der Weiße-Rose-Gedenkveranstaltung am 23. Februar 1961 an, als die Orgel erstmals erklang: „Es geht um die Gegenwart der Herabsteigenden. Es geht um die Verwandlung und zuletzt um die Stimme. Sie war schlicht und voll Kraft. Durch den Tod hindurch gegangen werde sie Orgelklang.“ Das sei der Topos der Wiederauferstehung, meinte Simone Reitebuch, die sich eingehend mit der Gedenkkultur um die Weiße Rose an der LMU beschäftigt hat. Wenn das Fenster mit Maria und Jesus schon Ende der 1950er-Jahre eingebaut gewesen wäre: Hätte es dann wegen der geradezu sakralen Überhöhung des Raums der Unirektor noch schwerer gehabt, den Orgeleinbau durchzusetzen? Es wurde ohnehin heiß diskutiert, wie man im Lichthof und in der Uni mit der Erinnerung an Kriegstote umgehen sollte, ohne falscher Ehrbezeugung zu huldigen.

Die Hölle heiß gemacht

Wegen der Orgel machte die Philosophische Fakultät mit dem Musikwissenschaftler Thrasybulos Georgiades an ihrer Spitze dem Rektor quasi die Hölle heiß: Der Lichthof dürfe nicht als Festraum umdefiniert werden, was sich mit dem Orgeleinbau ergeben würde. Es sei auch keine Einheit von Orgel und Raum gegeben wie in einer Kirche oder einem Konzertsaal. Ohnehin: Wann könnte die Orgel überhaupt bespielt werden, wann darauf geübt werden, wenn doch in den angrenzenden Räumen der Vorlesungsbetrieb stattfinde? Sein Kollege Hans Sedlmayr, der Vertreter der Kunstwissenschaften an der LMU, legte in einem Gutachten nach. Die große Orgel stiehlt dem erst 1958 installierten kleinen Weiße-Rose-Gedenkrelief von Lothar Dietz unten im Lichthof die Wirkung, könnte man seinen Einwand zusammenfassen. In der großen Aula wäre die Orgel besser aufgehoben. Rektor Pascher setzte sich durch. Aber auch die Kritiker behielten in gewisser Weise recht: Die so bezeichnete Weiße-Rose-Orgel der LMU, das klingende Mahnmal, verstummte schleichend. Schaumstoffdichtungen bröselten, Mäuse eroberten sich den Spieltisch, nicht wenige Pfeifen bekamen auf wundersame Weise Füße. „Ich habe hier studiert, aber ehrlich, ich hatte die Orgel eigentlich nie so richtig im Blick, wenn ich durch den Lichthof geeilt bin“, überlegt Matthias Fahrmeir. Er ist heute Leiter des LMU-Liegenschaftsdezernats. Vielleicht ist es ja, weil sein Büro unmittelbar an den Lichthof angrenzt, dass er sich in den vergangenen Jahren intensiv um die über Jahrzehnte in Vergessenheit geratene Restaurierung der ehemaligen Raumpracht kümmert. Die Wiederbelebung der verwaisten Orgel gehörte bald zu seiner Vision des Lichthofs, der wieder stärker als Raumkunstwerk wahrgenommen werden sollte – und zwar in Würdigung der verschiedenen historischen Rauminterpretationen, die vor dem Heute nicht Halt macht. Die Orgel also nicht allein als zentrales Instrument bei den alljährlichen Veranstaltungen zum Gedenken an die Weiße Rose (22. Februar), sondern auch für andere, weniger feierliche Konzerte mit einem Touch von zeitgeistigem Event – und um jüngeres Publikum für Orgelmusik zu begeistern. Dazu gehört eine ausgefeilte Lightshow – ein solches Illuminationsspektakel sollte man mal miterlebt haben. „Unsere Haustechniker freuen sich“, sagt Matthias Fahrmeir lächelnd. „Viele von ihnen sind ausgebildete Veranstaltungstechniker. Im Arbeitsalltag stellen sie vor allem Mikrofone in Hörsälen passend ein. Bei einem derartigen Event können sie aber mal zeigen, was sie so drauf haben.“

Spendable Unterstützer

Rektor Joseph Pascher musste einst Geld einsammeln, damit die Orgel gebaut werden konnte – die gleiche haushälterische Herausforderung hatte Matthias Fahrmeir zu bewältigen: 50 000 Mark hatte die Orgel einst gekostet, rund 48 000 Euro ihre Wiederherstellung ein halbes Jahrhundert später. Beide Projekte finanzierten sich nur aus Spendengeldern. 2012 bis 2013 nahm sich der Orgelbauer Markus Harder-Völkmann der Orgel an, baute sie ab, reinigte, sanierte, ergänzte und justierte die „Königliche“ neu. Im November 2013 der Überraschungscoup: Die Orgel ertönte neu – zusammen mit Bässen und mit der Musik von Philip Glass zum Kultfilm Koyaanisqatsi. Der Lichthof als Kinosaal! Das hat seither Tradition – im vergangenen November war er beim Stummfilmklassiker Phantom der Oper rappelvoll. „Gut 80 Prozent des Publikums waren Studierende“, überschlägt rückblickend Cornelia Lentner. Die Studentin engagiert sich im UniKult e.V., der (nicht nur) die Orgelkonzerte organisiert – Veranstalter ist das Liegenschaftsdezernat.
Im Jahresplan hat sich ein weiteres Orgelkonzert im Januar etabliert. „Bei der Programmauswahl lassen wir uns zwar von eigenen Interessen leiten, stimmen es aber letztendlich mit den jeweiligen Künstlern ab“, erzählt Cornelia Lentner. Ein Motto wird ausgegeben – über dem nächsten Orgelkonzert am 20. Januar steht End of Time; ein Schalk, wer eine inhaltliche Logikabfolge zum vorherigen Motto Stars & Stripes ziehen wollte.
„Endzeit, zeitlos, zeitgenössisch, Zeit in ihrer Begrenzung und in ihrer Entgrenzung – wir spielen mit vielen Zeitbegriffen“, sagt Angela Metzger, die bei dem Konzert am Spieltisch sitzen wird. Ihre Konzertpartnerin wird die Violinistin Martina Trumpp sein, die beiden haben schon viele Konzerte miteinander bestritten.

Vertrackter Nachhall

Und dann ist da natürlich noch das Einlassen auf die spezifische Situation vor Ort. Die Weiße-Rose-Orgel hat die mehrfach ausgezeichnete Münchner Organistin noch nicht gespielt, nur bei einem Konzert ihren spezifischen Klang analysiert: „Die Orgel ist zwar nicht allzu groß, aber es lässt sich vieles relativ gut darstellen. Das Besondere ist allerdings die Akustik im Lichthof. Man hat es mit einem ziemlich langen Nachhall zu tun, den muss man bei der Stückauswahl und vor allem auch im Zusammenspiel mit anderen Instrumenten einkalkulieren.“ Die räumliche Distanz zwischen Spieltisch und dem Orgelprospekt hat zwar auch seine Tücken, doch das sei kein Novum für sie, wischt Angela Metzger beiseite: „Die Übertragung geschieht über Funk, an die Zeitverzögerungen zwischen Gespieltem und Gehörtem gewöhnt man sich. Man muss halt einfach unbeirrt weiterspielen.“ Das Programm ihres Konzerts am 20. Januar wird eine Reise durch die Zeit sein: Von Johann Sebastian Bach über Josef Gabriel Rheinberger, Erich Wolfgang Korngold, Oliver Messiaen, Arvo Pärt bis zu Markus Lehmann-Horn. Von Letztgenanntem (1977 geboren) hat sie eine Komposition ausgewählt, die wie geschaffen scheint für das Lichthof-Konzert: „Markus Lehmann-Horn hat mir selbst gesagt, dass sein Stück viel Akustik brauche.“ Die Sterne des Himmels fielen auf die Erde heißt das Orgelsolo von 2012, ein Holzschnitt aus Dürers Apokalypse hat den Komponisten inspiriert.

Nachts üben

Das Fallen der Sterne im Raum hörbar machen – „da ist viel Vorarbeit nötig“, sagt die Organistin und skizziert das „maßgesteuerte Einregistrieren“, das zeitintensive vorherige Festlegen der Registerfarben, der Klangvorstellungen. „Das braucht unvergleichlich mehr Vorlaufzeit, als wenn ich ein anderes Instrument spielen würde.“ Und dann bringt sie ins Spiel, was schon die Kritiker der Orgel Ende der Fünfzigerjahre bemängelten: Man muss Rücksicht nehmen auf den Lehrbetrieb drumherum, „ich kann erst ab 22 Uhr oder am Wochenende an die Orgel, um die Vorarbeiten zu erledigen und zu üben“. (Karin Dütsch) Information: Das nächste Konzert auf der Weiße-Rose-Orgel im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität München findet am 20. Januar ab 19 Uhr statt. www.uni-kunst.kunstwissenschaften.uni-muenchen.de/index.html

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