Kultur

Peter Reisser, Péter Polgar und Simone Stahlecker in „Hauptsache Arbeit!“. (Foto: Jochen Klenk)

30.01.2015

Eine bitterböse Analyse der Gegenwart

Sibylle Bergs "Hauptsache Arbeit!" am Stadttheater Ingolstadt

Entfremdung durch Arbeit: ein Dauerbrennerthema auf den Bühnen. Wie auch anders? Die Arbeit und ihr Antipode, die Arbeitslosigkeit, prägen Biografien und ganze Gesellschaften. Sibylle Bergs Hauptsache Arbeit!, eine bitterböse Analyse der Gegenwart, setzt spitze, schneidende Wahrheiten übers Thema in einen ineinanderfließenden Redeschwall von Angestellten. Die Ausgangssituation: ein Firmenausflug auf einem Schiff, der Chef und ein eigens eingestellter Effektivitätsguru, die „Motivationsratte“, erklären die Regeln. Es wird ein Kampf um die Arbeitsplätze ausgerufen. Ein Kampf auf Leben und Tod.
Das sind so die Komödien, bei denen sich Humor in Schmerz verwandelt. Oder aber auch in Langeweile, falls man die Pforten der Selbsterkenntnis nicht aufbekommt. Berg nähert sich der westlichen Lebensweise mit dem Zerwirkmesser philosophischer Betrachtung und fährt mit ihm, dem bürgerlichen Lebenswandel, in Mark und Bein. Und das durchaus von der überhöhten und damit auch überheblichen Position der Beobachterin von außen. In dieser Überheblichkeit des Textes liegt eine Gefahr: Dass nämlich die intellektuell durchaus brillante Analyse in Ermangelung größerer Andockflächen für die Empathie am Zuschauer in knapp zweistündiger Belanglosigkeit vorbeirauscht.
Regisseur Markus Heinzelmann hat die Textflächen der Autorin seinerseits noch einmal leicht umoperiert. Er übersetzt die Selbstauskünfte der Menschen auf der Bühne, die nicht begreifen, dass Einsamkeit der Selbstsucht entspringt und Frustration falsch gewordenen Idealen, in durchaus auch mal schwankende Bewegung. Ausstatter Christoph Ernst hat ihm eine absurd realistische Bühne gebaut: einen Schiffssalon mit ausladender Treppenanlage, Clubsesseln und holzvertäfeltem Interieur, ganz so, als handelten die Figuren in einem gehobenen Boulevard-Stück der 1950er Jahre.

Der Daseinsgrund ist unsicher geworden

Und in der Tat, so ist es auch: Das Lebensideal der Mittelschicht-Leute, die Berg und Heinzelmann zeigen, ist radikal rückwärtsgewandt. Fleiß, Häuschen, Treue zur Firma bedeuten Erfüllung. Die vage Ahnung, dass rasante Veränderungen auch in der Arbeitswelt diese Vorstellungen von Behaglichkeit längst zerbröselt haben, führt in dieser Inszenierung zu einem Grundschwanken des Personals. Mal wegen des Seegangs, mal wegen des Alkoholgenusses: Der Daseinsgrund ist unsicher geworden. Das Stück zeigt diese große Verunsicherung augenfällig und kann wohl auch diese augenfällige große Wut mit erklären helfen, die derzeit in Teilen des Mittelstands zu herrschen scheint. Die schimmert in der Inszenierung permanent durch.
Das Ensemble setzt dieses Verunsicherungs-Taumeln perfekt um. Was schon allein deshalb witzig ist, weil alle im Dienste einer Versicherungsfirma tätig sind. Für atmosphärische Dichte sorgt die Musik von Christine Hasler, die sich unaufdringlich zwitschernd zwischen leicht dramatischer Filmmusik und Easy Listening tummelt. Das Ende vom Lied: Die Ratten übernehmen das Schiff. Sie haben es immer schon besser gewusst. (Christian Muggenthaler)

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