Kultur

Gustav Mahlers Uraufführung seiner VIII. Sinfonie in München im Jahr 1910. (Foto: Stadtarchiv München)

17.09.2010

Eine musikalische Liebe in forte und piano

Der Komponist Gustav Mahler war von München begeistert – die Stadt reagierte auf seine Werke mit zwiespältigen Gefühlen

Was ist nun ge-mahlt und was ge-webt“, durften die Münchner am 10. April 1888 nach der Premiere der komischen Oper Die drei Pintos grübeln: Gustav Mahler hatte den von Carl Maria von Weber hinterlassenen Torso vervollständigt. Es war das erste Mal, dass man hierzulande den Namen Gustav Mahler und eine seiner Kompositionen vernahm.
Fast ein Jahrzehnt verstrich, bis München Bekanntschaft mit dem Dirigenten Gustav Mahler machte, rühmende Fama ging dem Debütanten voraus. Als er am 24. März 1897 ans Pult der neuen Tonhalle trat, applaudierten ihm die Musiker des von Franz Kaim gegründeten Münchner Philharmonischen Orchesters, „was hier noch nicht vorgekommen ist“. Er begann mit Beethovens V., dann begleitete er Klara Polscher bei Liedern am Flügel – Ersatz für die ursprünglich vorgesehenen zwei Sätze aus seiner III. Die Post hatte ihm einen Streich gespielt: „Heute früh kamen die Orchesterstimmen an, nun fehlte mir die Partitur...“
Mahlers Beethoven-Interpretation vergrämte die Herren Rezensenten, sie würdigten ihn als einen „jener Podium-Virtuosen, der keinen Platz hat im hohen Rang derer, die Glück verheißen“. Franz Kaim war hellhöriger, „er ist wie umgewandelt und macht mir riesig die Cour. Ich hätte große Lust zu dieser Stellung ...“, teilte Mahler Justine, seiner Schwester und Vertrauten seit Jugendtagen, mit.
Aber die Lust auf die Nachfolge Hermann Zumpes ging in einer größeren auf, als sein Traum von der „Berufung zum Gott der südlichen Zonen“ als Direktor der Wiener Hofoper wahr wurde. Von seiner Wiener Mission (11 Vorstellungen in seiner ersten Saison 1897/1898) war Mahler so besessen, dass er nur während der Sommerferien komponierte und auf Dirigentengastspiele vorerst verzichtete. Seine Schwester Justine, die ihn drängte, mehr für die Verbreitung seiner Werke zu tun, beruhigte er: „Die werden, jetzt oder später, schon selbst tun, was not ist. Muss man denn dabei sein, beim Unsterblich werden?“ Erst im Oktober 1900 folgte Mahler wieder einer Einladung, seine II. aufzuführen. Die Ehre, die München mit der Aufführung der IV. durch den Komponisten im November 1901 widerfuhr, wurde keineswegs begriffen: Das Publikum zischte und die Kritik wütete, „Streich eines Clown“ war noch die liebenswürdigste Injurie. Im November 1906 führte er seine VI., im Oktober 1908 seine VII. auf, und selbst Rezensionen wie „geräuschvolle Kakophonien“ oder Monstrum an Impotenz“ warfen keine Schatten über die Liebeserklärung an München. „Immer mehr und mehr mache ich mich mit dem Gedanken vertraut, nach München umzusiedeln“, ließ er Gattin Alma wissen.
Im Juni 1910 überwachte Mahler die ersten Proben für die Uraufführung seiner VIII., der Konzertagent Emil Gutmann hatte 1028 Mitwirkende organisiert, was den Komponisten mit frischen New Yorker Erfahrungen zuerst als „Barnum & Bailey“-Zirkusdarbietung abqualifizierte.
Doch die Abende des 12. und 13. September 1910 in der neuen Konzerthalle oberhalb der Theresienwiese wurden zum letzten europäischen Konzertereignis, bevor die Kriegsfurie den Kontinent in Flammen versetzte. Eine internationale Geisteselite hatte sich versammelt, um zu erleben, „dass das Universum zu tönen und zu klingen beginnt...“ – sogar ungestört von irdischen Misstönen: Mahler hatte erreicht, dass „die Straßenbahnen an der Ausstellungshalle langsam und ohne Glockenzeichen vorbeigleiten“.
Die Septembertage 1910 sollten die letzten sein, die Mahler in München verbrachte. Pläne für ein Konzert im April 1911 vereitelte seine Erkrankung in New York, die zum Tod am 18. Mai 1911 in Wien führte. Bei den „In memoriam“-Konzerten im November führte Bruno Walter Das Lied von der Ernte erstmals auf und ließ die II. folgen; gute 90 Jahre später wählte James Levine diese Werke für seinen Abschied von München und den Philharmonikern.
In den Jahrzehnten bis 1933 tauchten Mahlers Werke nur sporadisch auf, Bruno Walter gedachte seines Mentors noch in jeder Saison. Die IX. lernte München 1921 kennen, bei einem „Fest zeitgenössischer Musik“ stellte Hermann Scherchen das Adagio aus der X. vor. Goebbels verbannte Mahler ins Kultur-KZ; nach der braunen Götterdämmerung war die G-Dur-Symphonie das Hauptwerk der ersten „Musica viva“-Veranstaltung 1945. Hans Rosbaud versuchte, an die Mahler-Tradition der Münchner Philharmoniker anzuknüpfen – mit wenig Erfolg. Mahler war ein Fremdling geworden. Erst der Mahler-Zyklus 1960 in Wien mit Walter, Karajan, Klemperer und Keilberth weckte europaweit neues Interesse. München verdankt die erste Gesamtschau Rafael Kubelik.
Heute ist Mahlers Werk selbstverständlicher Repertoirebestandteil, auch wenn München und der Rest der Welt ein Säkulum benötigten, um zu erkennen: „In der Zeit könnt ihr diesen nicht messen, aber außer ihr, wie ein Sternbild...“´(Klaus Adam)

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