Kultur

Joey McKneely kennt als einer der wenigen die originalen Bewegungsabläufe von "West Side Story". Seitdem ist das Musical zu seinem Lebensinhalt geworden. (Foto: BSZ)

06.09.2013

"Emotionen nicht verkümmern lassen"

Broadway-Starchoreograf Joey McKneely bringt die "West Side Story" ins renovierte Deutsche Theater

Die Sanierung des Münchner Deutschen Theaters ist fast abgeschlossen. Im März 2014 soll es zur Wiedereröffnung des Hauses einen Klassiker geben, der 1961 im Deutschen Theater seine Europa-Premiere feierte: „West Side Story“. Die Reproduktion der Original-Choreografie besorgt Joey McKneely. Bei seinem Kurzbesuch in München verriet er der Staatszeitung, dass er in Zeiten der Generation Smartphone psychotherapeutisch vorgehen muss. BSZ Herr McKneely, Jerome Robbins, der 1998 achtzigjährig verstarb, hatte den Ruf, überaus genau, ja pingelig, in Bezug auf die Einstudierungen seiner Ballette zu sein. Der Robbins-Trust, der die Werke des Meisters nach dessen strengen Kriterien hütet, hat Ihnen 2000 das Einstudieren von „West Side Story“ anvertraut. Wie kamen Sie zu diesem Ritterschlag?
McKneely Ich hatte die Chance, noch mit Robbins selbst zu arbeiten. 1988 gab es ein Vortanzen für Jerome Robbins’ Broadway, eine Retrospektive zu all seinen Shows zwischen 1944 und 1964. Ich hatte erst mit 17 zu tanzen begonnen, aber von einer Jazzdance-vernarrten Ex-Tänzerin des New Yorker American Ballet Theater offensichtlich doch eine gute Ausbildung bekommen. Jedenfalls wurde ich ins Ensemble engagiert. Künstlerisch war ich mit meinen 21 Jahren noch total naiv. Aber diese sechs Monate Proben waren für mich ein regelrechter College-Kurs in US-Theater-Dance. BSZ Inwiefern?
McKneely Wir lernten Choreografien aus On the Town, High Button Shoes, The King and I, Peter Pan, West Side Story, Gipsy und Anatevka. Ich hatte in allen Stücken mehrere Partien zu tanzen. Die Arbeit mit Robbins war vor allem eine grundlegende Lektion, Choreografie nicht über Schritte, sondern über den Charakter einer Figur zu erlernen. Genauigkeit in der Gestensprache war Jerrys Markenzeichen. Wenn man jemandem die Hand reicht, ist es ein großer Unterschied, sie nur auszustrecken oder langsam zu heben, so als biete man dem Gegenüber gleichsam sein Herz an. All diese kleinen Details, wie man schaut, wie man seinen Schritt setzt, wie man in der Bewegung anhält – damit erst beginnt die Choreografie zu erzählen. BSZ Wie war Ihr Verhältnis zu dem als schwierig geltenden, damals 71-jährigen Robbins?
McKneely  Jeder hatte Angst vor ihm. Ich nicht. Einmal habe ich mich in der Mittagspause einfach zu ihm gesetzt. Erst kam so ein Was erlaubst-du-dir-Blick. Und dann hat es ihm doch sichtlich gefallen. Irgendwann sagte er mir einmal, dass ich als Tänzer für ihn so wertvoll sei, weil mein Körper ganz schnell seine Vorgaben umsetzen konnte. Bei den Proben ging das so: ‘Zeig mir. Okay. Nächste Sequenz’. Generell haben wir nicht viel miteinander geredet. Aber ich habe sehr genau bei den Proben zugeschaut und, das war meine beste Lern-Erfahrung, vor allem beobachtet, wie Robbins den Tänzern zuschaut. Ich verstand, warum er welchen Tänzer aus der Gruppe herausnahm. Es fehlte demjenigen eine hier geforderte Qualität. Und als ich die Robbins-Retrospektive 1991 verließ, wusste ich, dass ich selbst choreografieren wollte. BSZ Sie haben dann noch bis 1993 in Shows getanzt, 1995 mit Ihrer ersten Broadway-Show „Smokey Joe’s Café“ gleich einen Hit gelandet. Es folgten weitere Shows, gleichzeitig Ihre seit 2000 weltweit präsentierten „West-Side-Story“-Reproduktionen. Kann die in Tempo und Dramatik doch eher gemäßigte Story der verfeindeten „Jets“ und „Sharks“ die heutige Generation Smartphone noch ansprechen? McKneely  Es gibt tatsächlich sehr viel Ablenkung. Ich denke auch, dass all diese technischen Errungenschaften, der Knopf im Ohr und das ständige Simsen und Surfen, Emotionen verkümmern lassen. In den Proben ist es oft schwierig, bei den Tänzern an ein echtes Gefühl heranzukommmen. Sie sind heute vor allem auf athletisch perfekte Technik trainiert. Also muss man, fast psychotherapeutisch, härter am Ausdruck arbeiten. Denn in West Side Story geht es nun mal um Charaktere und ihre Gefühle. Und wenn man da eine Intensität herstellt, dann hat man auch die Aufmerksamkeit der Zuschauer.
(Interview: Katrin Stegmeier)
Premiere im Deutschen Theater, München, am 20. März 2014.

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