Kultur

Stillleben mit Torte (um 1930) von Ludwig Bock. (Foto: Fränkische Privatsammlung)

24.06.2011

Explosiver Kaffeeklatsch

Aber bitte mit Sahne! Dachau widmet sich in zwei Ausstellungen der Kunst der Gaumenfreuden

Frisches Obst zum Frühstück? Darf es vielleicht noch etwas mehr sein? Semmeln und Ei beispielsweise, wie ein Gemälde von Rudi Tröger zeigt. Oder noch Fisch, Fleisch und Wildbret – und als Nachtisch eine wahre Kalorienbombe: Berge von Kuchen- und Tortenstücken, dazu Kaffee und eine Illustrierte als gute Grundlage zum Tratsch von fünf fahl und unappetitlich wirkenden Stadtpomeranzen, die uns der Maler Harald Duwe auf seinem zwei Meter breiten Querformatgemälde Bitte mit Sahne vorstellt.
Um künstlerisch angerichtete Gaumenfreuden geht es derzeit in der Ausstellung Kunst & Essen in der Gemäldegalerie Dachau – das Auge isst mit bei den vielen hochkarätigen „Schmankerln“, die da angerichtet wurden. Zum Beispiel bei den zwei Stillleben mit grünen Kürbissen. Das eine (Gouache auf Karton) stammt von Rupprecht Geiger aus dem Jahr 1943, der zu dieser Zeit als Kriegsmaler in der Ukraine eingesetzt war. Das andere ist ein in denselben zarten Pastelltönen gehaltenes Ölgemälde des Vaters Willi Geiger, datiert 15 Jahre später. Wie künstlerisch nah sich Vater und Sohn standen, wird in noch einem Beispiel offensichtlich: Willi Geiger übernimmt in seinem Stillleben mit Birnen von 1965 jenes künstlich produzierte pink-rosafarbene Leuchtpigment, das zum Markenzeichen der monochromen Bilder seines Sohnes geworden ist.

Bis zum Absacker

Schon dieses künstlerische Aufeinandertreffen von Vater und Sohn Geiger ist einen Besuch der Dachauer Gemäldegalerie wert – aber die Ausstellung trumpft mit noch weiteren bedeutenden Werken auf: wie zum Beispiel Max Beckmanns Stillleben mit grüner Kerze, Gabriele Münters Blumenstillleben, Lovis Corinths Geschlachteter Ochse, Ludwig Kirchners Caféhaustisch, Max Liebermanns Fleischstillleben, einer Picknickszene mit nackter Dame von Leo Putz, Karl Schmidt-Rottluffs Arrangement aus Zitronen und Porreestangen oder die mit lockerem Pinselstrich gemalten Fische auf Eis von Heinrich von Zügel. Hinzu kommen viele Arbeiten weniger bekannter Künstler, die hier neu zu entdecken sind.
Geordnet nach dem Rhythmus des Tagesablaufs, vom Frühstücksbuffet bis zum Absacker aus der Whiskyflasche am Abend, werden rund 80 Gemälde, Skulpturen und Grafiken präsentiert. Appetit machen wollten die Kuratoren Elisabeth Bose und Jutta Mannes auf den Stilpluralismus der 100 Jahre zwischen 1880 und 1980, der sich schön am Genre Stillleben beobachten lässt; Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten die Künstler der Moderne in der Nachfolge Paul Cezannes das Thema der leblosen Dinge und verhalfen der zuvor untergeordneten Gattung Stillleben zu neuer Bedeutung.
Die üppige Schau bietet einen bunten Streifzug durch die Kunstgeschichte seit dem Impressionismus über den Expressionismus, Surrealismus, Neue Sachlichkeit bis zum Informel und der aus Amerika nach Europa schwappenden Pop-Art. Die Idee, Kunst vom Podest herunterzuholen und ins wirkliche Leben einzugliedern, wie es die Pop-Art-Künstler Roy Lichtenstein, Andy Warhol und Claes Oldenburg propagierten, inspirierte auch den gebürtigen Rumänen Daniel Spoerri. Mit seinen berühmt gewordenen Fallenbildern schuf er dreidimensionale Stillleben aus allem, was am Ende einer Mahlzeit auf dem gedeckten Tisch übrig blieb. Essensreste wurden mittels Kunstharzkleber fixiert und samt Gläsern, Geschirr und Besteck aus der Horizontalen in die Vertikale gebracht und zur EatArt deklariert.
Es scheint, als hätten dieser von Spoerri eingeläutete Neue Realismus und die Erweiterung des Kunstbegriffs bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. So steht im zweiten Teil der Ausstellung EssKunst – EatArt heute in der Neuen Galerie mobil (die temporär in dem Rückgebäude der Konrad-Adenauer-Straße 20, einem ehemaligen Tanzlokal, untergebracht ist) ein „abgegessener“ Kaffeetisch: Allerdings wirkte in der Arbeit Kaffeeklatsch von Regina Pemsl, die sich mit gesellschaftlichen Aspekten des Essens beschäftigt, das Koffein in Verbindung mit der Konversation der nachmittäglichen Damenrunde wohl höchst explosiv, denn an der Wand prangt ein riesiger Kaffeefleck und die Scherben der Kaffeekanne liegen verteilt am Boden.
Die Videoarbeit Jasy he‘è von Patricia Wich, die ebenfalls gesellschaftliche Gepflogenheiten ihrer Heimat Paraguay genauer unter die Lupe nimmt, greift Elemente der Stilllebenmalerei des 17. Jahrhunderts auf und tischt erneut das Thema der Vergänglichkeit auf. In einem paradiesischen Garten beobachtet sie die Veränderungen einer der Natur überlassenen, traditionellen Hochzeitstorte und entdeckt am Ende deren wahren Kern.
Kochen zur Kunst erklärt (im Trend der grassierenden TV-Kochsendungen) hat Marietta Johanna Schürholz. Mit der Installation Zu Gast in der Welt lädt sie 24 Teilnehmer zur Essperformance ein. Per Los wird über den Sitzplatz respektive das Land entschieden, aus dem ein landestypisches Gericht serviert wird. Guten Appetit! (Angelika Irgens-Defregger)

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