Kultur

Nicht überrascht war man von Hermann Nitschs Inszenierung als Orgien- und Mysterien-Theater. (Foto: Hösl)

08.07.2011

Farbiges Spiel mit Schatten

Kent Nagano schreibt mit der Münchner Erstaufführung von "Saint François d’Assise" Geschichte

Kent Nagano ist ein Experte für die Musik von Olivier Messiaen. Dem 1992 verstorbenen Komponisten und Organisten verdankt Nagano den Beginn seiner Weltkarriere: Schon Ende der 1970er Jahre realisierte der Münchner Staatsopern-GMD mit dem Berkely Symphony Orchestra einen ersten Messiaen-Zyklus. 1983 wurde Nagano von Messiaen nach Paris eingeladen, wo er schließlich als Assistent von Seiji Ozawa die Uraufführung von dessen Oper Saint François d’Assise vorbereitete. Nagano selber leitete die Oper, die das Leben und Wirken des Heiligen Franziskus von Assisi thematisiert, 1998 bei den Salzburger Festspielen. Nun dirigierte er an der Bayerischen Staatsoper die Münchner Erstaufführung des Werks.

Dynamische Balance

Das Erstaunliche: Nagano steigerte sich noch um ein Vielfaches, mit dem Bayerischen Staatsorchester und dem Staatsopernchor hat er regelrecht Geschichte geschrieben. Über fünf Stunden wurde mustergültig verlebendigt, was Nagano bei Messiaen als besonders wichtig erachtet. „Es geht bei Messiaen nicht einfach um Farben: Wenn eine Interpretation glückt, erwachsen Schatten“, erklärte er einmal, als der 100. Geburtstag von Messiaen begangen wurde (2008). „Wenn etwas nur laut oder bombastisch ist, mag es einen Effekt haben, aber die Idee geht verloren. Fehlt die richtige dynamische Balance, wird es dick – es fehlt die Transparenz, Details versickern.“ Erst mit der richtigen Balance erwachse eine klangliche und farbliche Flexibilität.
Dieses „natürliche Farbenspektrum“, von dem Nagano spricht, war in München vom ersten bis zum letzten Klang allgegenwärtig. Man wurde Zeuge, wie ein klanglicher Organismus lebte, wie tief hinein geleuchtet wurde in das Innenleben von harmonischen und formalen Strukturen. Selbst die „Ondes Martenot“ (ein elektronisches Musikinstrument, das in den 1920ern entwickelt wurde) fügte sich derart zwingend und konzis in den Gemeinklang ein, wie man dies sonst kaum hört. Naganos Interpretation glühte vor Liebe zu dieser Musik.
Dieses hohe Niveau erreichten die Hauptsolisten Paul Gay (Franziskus) und Christine Schäfer (Engel) nicht ganz. Sicher, gerade die Partie des Franziskus ist äußerst tückisch. Zuweilen wirkte Gays Stimme etwas gepresst, wohingegen Schäfers Timbre zwar die luzid-transparente Verklärung hörbar machte, im Piano aber etwas dünn blieb.

In Blut und Fleisch gesuhlt

Die Inszenierung von Hermann Nitsch war indes besser, als der Buh-Sturm suggerierte – zumal dieses Werk nur schwer umzusetzen ist. Einerseits ist die farblich-rhythmische Vielfalt der Musik bilderreich. Andererseits ist die Handlung der Oper abstrakt, denn es geht um die Botschaft des Göttlichen. Natürlich bediente Nitsch einmal mehr sein Orgien-Mysterien-Theater: Auf Videos wurde in Blut und Fleisch gesuhlt – allerdings vor allem dann, wenn Franziskus von Irrtum und Dunkelheit sang. Zur Vogelpredigt aber fiel Nitsch nicht mehr ein, als das Bild „Der einsame Baum“ von Caspar David Friedrich einzublenden. Aus der berühmten Eiche ließ er Vogelanimationen flattern: Platter geht’s nicht. (Marco Frei)

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