Kultur

Doppelmoral unter Karussellhimmel mit hervorragenden Schauspielern (Wiebke Puls und Sylvana Krappatsch) (Foto: Julian Röder)

05.10.2012

Flache Schießbudenfiguren

"Orpheus steigt herab" an den Münchner Kammerspielen

Hat auch die Kammerspiele der Wiesn-Rausch erfasst, war das jetzt das Stück zum Oktoberfest? Darauf könnten die Luftballons hindeuten und das schöne alte Kettenkarussell, das schon das ganze Bühnenbild ist. Weniger zünftig wirkt allerdings der lebendige Dobermann, der an kurzer Leine ins Rampenlicht hechelt. Und auch die Dobermann-Logos auf den Bomberjacken der Bürgerwehr sehen nicht gerade nach bayerischer Gemütlichkeit aus.
Aber schließlich spielt Tennessee Williams’ Orpheus steigt herab (1957) ja auch in den amerikanischen Südstaaten der 1940er Jahre, wo „Itaker“ nur wenig besser angesehen sind als „Nigger“. Und wo der rassistische Pöbel, der – so wollen es das Klischee und der Text – die Mehrheitsgesellschaft der Provinzkäffer darstellt, schon mal einem italienischen Einwanderer den Weinberg samt Wirtshaus abfackelt – und ihn selbst gleich mit. Folglich sieht man auf der Bühne üble Prolls mit Pferdeschwanz auf Mopeds rumknattern, dass der Zweitaktgestank bis in die letzte Reihe zieht. Der Sheriff steckt natürlich mit diesem Bürgerwehr-Gesocks unter einer Decke.
Was die abgestandene Südstaaten-Tragödie mit Kitschpotenzial Europäer des 21. Jahrhunderts angehen soll, bleibt ein Rätsel. Zumindest in der Inszenierung von Sebastian Nübling, mit der die Münchner Kammerspiele die Saison eröffnen. Dem Regisseur gelingen zwar einzelne magische Bilder; auch die Atmosphäre latenter Bedrohung in dieser konformistischen Kleinstadt-Kontrollhölle wird spürbar. Aber mit solchen werktreuen Illustrationen bleibt die Aufführung im Bereich meisterhaften Kunstgewerbes stecken. Womit klar ist, was der Abend sicher nicht war: der passende Auftakt für eine Spielzeit, in der die Kammerspiele ihr hundertjähriges Bestehen feiern.

Sachte Parodie

Aber zum Glück gibt es ja an diesem Theater eine Reihe herausragender Schauspieler, von denen etliche in der Inszenierung zu sehen sind. Wiebke Puls etwa, Jochen Noch und allen voran Annette Paulmann als blondierte Südstaaten-Klatschtante mit Doppelmoral. Indem die Schauspielerin den eindimensionalen psychologischen Realismus der Figur dezent ins Laszive überzeichnet, treibt sie das Stereotyp der scheinheiligen, bösartigen Spießerin sacht in die Parodie.
Für wohltuende Verfremdungseffekte sorgt auch, nicht allein durch seinen estnischen Akzent, sondern ebenso mit manierierter Körpersprache, Risto Kübar in der Rolle des schönen Fremden mit der Schlangenlederjacke, der im Städtchen ungewollt allen Frauen den Kopf verdreht, was natürlich den Lynchmob auf den Plan ruft.
Aber selbst die besten Akteure können nicht verhindern, dass der Versuch des Autors, sein etwas dünnes Selbst-Plagiat durch den Kurzschluss mit der antiken Mythologie aufzupeppen (der Fremde als Orpheus im Südstaaten-Hades), als krampfiger Trick erscheint. Seine Charaktere bleiben trotzdem flach wie Schießbudenfiguren. Insofern war’s halt doch das Stück zum Oktoberfest.
(Alexander Altmann)

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