Kultur

Schnell begeisterten sich die Münchner für ihren Gemeindekantor Moshe Fishel. Jetzt muss er zurück nach Israel und sich ums Familiengeschäft kümmern. (Foto: Archiv OJM)

15.01.2016

Gebete zum Himmel tragen

Moshe Fishel begeisterte jüdische Gläubige ebenso wie das Konzertpublikum. Jetzt geht er zurück nach Israel

Gebete der Gläubigen sind wie Blumen. Die bindet er durch seinen Gesang zu einem Strauß und schickt sie gen Himmel“: Mit diesem Bild beschreibt Ber Szenker eine der Aufgaben eines jüdischen Kantors. Neben ihm in der „Tages-Schul“ der Münchner Synagoge am Jakobsplatz sitzt Moshe Fishel: Er ist seit 2011 fest angestellter Kantor der Münchner Gemeinde, und Szenker (seinerzeit Synagogenvorstand) hat ihn damals aus Israel an die Isar geholt. Doch jetzt kehrt er zurück nach Israel – nicht als Kantor, sondern als Nachfolger seines Vaters in der Leitung der Firma für Früchte, Gewürze und Nüsse. Immerhin versichert er, dass er wenigstens seine Konzertverpflichtungen für 2016, auch in München, soweit wie möglich wahrnehmen wird.

Die Seele spüren

30 Bewerber hat es damals gegeben, sieben wurden ausgewählt und Woche für Woche am Schabatt zum Vorbeten nach München eingeladen. Das Votum für den jungen Moshe Fishel war eindeutig. Von einem Kantor erwartet man, dass er die Gemeinde durch seine Musik, seinen Gesang dazu bringt, „das Herz zu öffnen, die Musik zum Teil des Gebets zu machen“, auch mitzusingen. Was man nicht erwartet hatte: Durch Fishel wurden die Neujahrskonzerte (das nächste am 30. Oktober) zu einem Publikumsrenner: Das Prinzregententheater ausverkauft, etwa 70 Prozent des Publikums nichtjüdisch, aber begeistert von der Musik bis hin zu den alten jiddischen Liedern als Zugaben. „Man spürt die Seele, das Gebet, auch ohne jedes Wort zu verstehen.“ Frenetisch war der Applaus für Fishel und seine Kollegen Michael Azogui aus Zürich, Boaz Davidoff aus Haifa, besonders für Daniel Grossmann und das Orchester Jakobsplatz München. Aber Moshe Fishel rückt das Bild gerade: Als Kantor einer jüdischen Gemeinde ist man keinesfalls ein Opernsänger. Obwohl er und seine Kollegen in Berlin, New York oder Tel Aviv mit ihren prächtigen Stimmen das Zeug dazu hätten. Als Kantor kommt man von der klassischen Musik her, liebt sie, auch die Oper, „füllt sein Leben damit an – aber die Seele ist doch voll von Religion“, sagt Fishel. Da unterscheidet sich schon die Ausbildung an den Kantorenschulen in Israel, neuerdings auch in Potsdam vom deutschen Konservatorium. Das beschäftige sich mehr mit Stimme, Technik, Darstellung, man muss auch eine Aufnahmeprüfung machen: Die gibt es an den Kantorenschulen nicht, dort kann jeder studieren. Das Wichtigste ist, sagt Moshe Fishel, sich „als Botschafter zu Gott zu verstehen, die Gebete der Menschen an den Himmel zu vermitteln.“ Und so hat der jüdische Kantor neben dem Rabbiner eine mindestens gleichberechtigte Stellung: Er gestaltet wesentlich den Gottesdienst, bestimmt die Melodien und Gesänge. Die kommen bei Moshe Fishel längst nicht mehr nur aus der klassisch-romantischen Tradition, sondern von draußen, von der Straße, aus Rock und Pop: „Jeder Kantor hat da seinen eigenen Geschmack, kann auch improvisieren. Wichtig ist, dass mit Gefühl aufgeladen wird, was der Kantor sagen will.“ Was er dann an populärer Musik aus dem Israel von heute in seine Gottesdienst- oder Konzertveranstaltung einbaut, „das soll nicht nur für junge Leute sein. Alle sollen glücklich damit werden.“ Deshalb verlässt Fishel mit seiner Musik auch die Heimat-Synagoge und geht mit Konzerten nach Warschau oder London. Dort spürt Fishel immer wieder den Unterschied. „Zum Beispiel beim Neujahrskonzert. Da gibt es auch ein bisschen Show, es wird gesprochen, es werden Witze gemacht: Es ist ein ganz anderes Musikgenre. Die Leute sind durstig nach Gefühlen, auch das christliche Publikum hört mit Leidenschaft zu.“ Mit diesem Konzept möchte Fishel auch Dampf machen für die anderen jüdischen Gemeinden in Deutschland.

Musikalische Identität

Wie der Dirigent des Jakobsplatz-Orchesters möchte er das Positive an der jüdischen Kultur zeigen, nicht nur die problematische Vergangenheit und die aktuellen Probleme Israels. So wie es Grossmann formuliert: „Mein Orchester ist kein Erinnerungsorchester.“ Szenker spricht aus Erfahrung: „Moshe Fishel wurde vom ersten Tag an von der Gemeinde geliebt. Wenn er singt, lauscht jeder atemlos, Fans reisen aus ganz Europa an, um ihn zu hören, jüdische Touristen kommen in den Gottesdienst oder die Konzerte, und Moshe mischt die Programme so, dass jeder seine Vorliebe findet.“ Fishel sei auch ein Garant dafür, dass die jüdische Musik ihre Identität wahrt – auch wenn manchmal Verdi den Gebetsworten unterlegt wird. Von prosaischen Dingen redet man nach alldem höchstens am Rande: Dass Fishel auch noch die anderen Synagogen in München mit Musik versorgen musste oder dass er mit seiner Familie zwar hier nicht so viel verdiente wie im reichen New York, dass er aber „nicely“ von seinem Beruf leben konnte. Was einen neuen Kantor in München genauso wie damals Moshe Fishel erwartet: „eine Mischung von Modernität und der traditionellen ,box’.“ Und dass man gerade hier etwas bewegen kann: „Es passiert etwas in der Kantorenmusik von Germany.“ (Uwe Mitsching)

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