Kultur

Oleg Tikhomirov als gestresster Möchtegern-Hausmann. (Foto: Neeb)

15.12.2017

Gedankenspiele zum Familienglück

„Children of tomorrow“ am Münchner Volkstheater

Oleg Tikhomirov muss kurz den Müll runterbringen. Und was haben ihm Mehmet Sözer, Julia Richter sowie Pola Jane O’Mara nicht alles aufgeladen: Trockenblumen, Taschenbücher, Totenschädel und eine Menge sonstigen Krempel balanciert der wackere Hausmann waghalsig vor sich her. Ein schönes Bild für die Überforderung heutiger Eltern hat Corinne Maier da gefunden in ihrer Inszenierung der Fortpflanzungs-Groteske Children of tomorrow. Wie überhaupt diese rasante Uraufführung am Münchner Volkstheater (Kleine Bühne) einem tragikomischen Kindergeburtstag gleicht. Zumal die Kinder noch gar nicht da sind. In dem wunderbar pointierten Stück der Schweizer Nachwuchsautorin Tina Müller geht es um Paare, die ein Kind wollen, denn „es wird krabbeln und laufen und reden lernen“. Na, wenn das keine schlagenden Argumente sind! Vor lauter Vorfreude hopsen alle schon mal auf roten Hüpfbällen durch die supergemütliche Wohnlandschaft mit bunter Auslegeware, großem Kuschelbett und Kloschüssel hinten im Eck.

Tänzeln und kugeln

Die Zuschauer sitzen fast mittendrin in dieser guten Kinderstube (Ausstattung: Nicole Henning), wo die Möchtegern-Eltern zu Wohlfühlmusik auf Socken herumtänzeln und -kugeln. Sie spielen nämlich schon mal Vater, Mutter, Kind, das heißt, sie erproben hypothetisch verschiedene Familienmodelle und malen sich aus, wie es sein wird – weshalb der Text konsequent im Futur geschrieben ist. Aber egal, ob in den Varianten mal Mutti, mal Vati auf die Karriere verzichtet oder aber das Kind in „liebevoller Verwahrlosung“ sich selbst überlassen wird – entspannter scheint doch das Modell „gar kein Kind“. Es ist schon rührend, wie beflissen sich diese zappeligen Zeugungswilligen mühen, alles richtig zu machen – und darüber noch konformistischer wirken als die Großelterngeneration. Eingezwängt in ein Korsett gesellschaftlicher Ideale, sind sie „sonst total für Diversität“, überlegen aber doch, „ob eine kulturell gemischte Grundschule für dieses leicht reizbare Kind wirklich das Richtige sein soll“. Und dass die potenziellen Eltern dauernd im Chor Floskeln aufsagen, die wie eingelernt wirken, stellt sie überzeugend als Opfer herrschender Konventionen dar: „Es ist wirklich diese Art von Glück, die wirklich glücklich macht.“ Aha. Mit vollem Körpereinsatz zwischen Anmut und Verrenkung zeigen die vier jungen Akteure Menschen, die dem Irrtum aufsitzen, bei der Gestaltung eines möglichst passenden Familienmodells ginge es um ihr persönliches Glück. Dabei geht es in Wirklichkeit nur darum, wie sie ihre eigene Ausbeutbarkeit am effizientesten organisieren. Sie sind typische Vertreter der heutigen Mittelschicht, die sich jene Arbeitsteilung in Beruf und Erziehung nicht mehr leisten kann, die früher das Privileg des Bürgertums war, während die Frauen der Arbeiterschaft schon immer berufstätig sein mussten. Heute hingegen trifft diese Doppelbelastung auch die Mittelschicht. Die freudig und freiwillig ihrer Proletarisierung zustimmt, bloß weil sie ihr als Emanzipation verkauft wird. (Alexander Altmann)

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