Kultur

Ganz kann es Bibiana Beglau nicht lassen, die unfreiwillige Komik von „Howl“ herauszustellen. (Foto: Konrad Fersterer)

16.06.2017

Gediegene Unterhaltung

Das einstige Skandal-Gedicht „Howl“, das Bibiana Beglau im Münchner Marstall als Rezitations-Performance vorträgt, wirkt heute kurios und altbacken

Normalerweise ist Bibiana Beglau mehr die röhrende Furie. Aber jetzt kann man die Star-Schauspielerin zur Abwechslung quasi als Geheulsuse vom Dienst erleben, wenn sie Allen Ginsbergs Langgedicht Howl (zu Deutsch: Geheul) von 1955 vorträgt. Dazu hört man aus den Lautsprechern Züge rollen, Schafe blöken, eine Schreibmaschine klappert, und ein Polizeiauto macht Tatütata. Diese Hintergrundgeräusche erwecken den Eindruck, es sei ein Live-Hörspiel, was da im Marstall des Münchner Residenztheaters geboten wird. Und die Beglau hatte bereits zu Beginn erklärt, „Das ist ja keine Theatervorstellung heute“, weswegen man gerne herumgehen oder sich was zu trinken holen könne. Obwohl die Zuschauer dann doch brav sitzen blieben, statt sich buchstäblich ambulant in die Inszenierung einbinden zu lassen, war die Botschaft klar: Alles easy, alles unkonventionell! Schließlich gilt Howl als Text-Ikone der sogenannten Beat Generation, und der Markenkern dieser New Yorker Dichterclique war nun mal eine Art rebellische Lässigkeit – die jetzt nach Möglichkeit auf diese Rezitations-Performance abfärben sollte. Denn die Beglau wie auch Dramaturgin Angela Obst, die den Abend eingerichtet hat, gehen es zahm und werktreu an: ein Schreibtisch, mit der US-Flagge bedeckt, dahinter die Rhapsodin, rauchend, rezitierend. Dabei scheint Ginsbergs Geheul-Litanei, diese glorifizierte Inkunabel der Underground-Kultur, von heute aus in vieler Hinsicht altbacken: Ihr Pathos wirkt eher kurios, ihre dionysischen Posen, auch ihre Bürgerschreck-Attitüde muten so kalkuliert an, wie ihre Genitiv-Metaphern gesucht. Selbstberauscht von seiner vermeintlichen Radikalität, bleibt der Text weit hinter dem zurück, was der echten Avantgarde schon Jahrzehnte vorher in Europa gelang. Dass das seinerzeit als skandalös empfundene Gedicht im sittenstrengen Amerika der Fünfzigerjahre eine Kühnheit war, ist eben eher diesen Umständen geschuldet als der literarischen Qualität.

Wie Altherren-Jazz

Ein bisschen verhält es sich mit Howl also wie mit dem Jazz, der im Text so oft als euphorisierender Sound der Rebellion und Gegenkultur beschworen wird: Er ist heute gepflegte Altherren-Musik.
Und ganz kann es Bibiana Beglau darum zum Glück doch nicht lassen, die unfreiwillige Komik des Textes herauszustellen, wenn auch ganz sanft und respektvoll – zu respektvoll für eine wirklich packende, nicht in der Pose verharrende Interpretation. Und so blieb der Abend eben auch bloß gediegene Altherren-Unterhaltung. (Alexander Altmann)

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