Kultur

Astrid Weber hat große Töne und Spielbegabung für die Rolle der Greta. (Foto: Ludwig Olah)

06.05.2011

Gefühlsnippes zu rauschender Harfe

Franz Schrekers "Der ferne Klang" im Staatstheater Nürnberg

"Verismo“ nannte man das in Italien: komponierte Eifersucht und Mordlust unter Seine-Schiffern. In Deutschland war der Opern-Cocktail der Jahrhundertwende stärker: Lyrik und Realität, ein Schuss Naturalismus mit Vererbung und Milieutheorie, Symbolismus, deutscher Wald und deutsches Märchen, Künstlerdrama. Das Publikum des Kaiserreichs berauschte sich zwei Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs narkotisch daran: Franz Schrekers Der ferne Klang wurde nach der Uraufführung 1912 in Frankfurt an 50 Bühnen gespielt. (Ein Jahr danach dirigierte Schreker die Uraufführung von Schönbergs Gurreliedern.)
Es ist gut, wenn man den Ruhm Schrekers nicht nur aus Opernführern und alten Kritiken nachvollziehen kann, sondern wenn die drei Akte erneut auf die Probe gestellt werden wie jetzt am Staatstheater Nürnberg in seiner Reihe mit verfemten, vergessenen Komponisten.
Düsterer kann der Anfang nicht sein: schwarz der Vorhang, schwer lastend die Orchesterakkorde. Es gibt ein veritables Vorspiel und man merkt: Es wartet bei rauschender Harfe viel Gefühlsnippes in den nächsten drei Stunden aufs Publikum, meisterlich instrumentiert mit einer schillernden Orchesterbesetzung in Richard-Strauss-Konkurrenz. Da hat man auch Gelegenheit, dem differenzierten und alle dramatischen Möglichkeiten auskostenden Klang des Philharmonischen Orchesters unter Philipp Pointner zu lauschen, der wohl sehr vertraut mit Schrekers Idiom ist.
Dann würde eigentlich die Schwulst-Mixtur von Schrekers eigenem Libretto hereinbrechen: Wäre da nicht Gabriele Rechs klug verknappende, schlanke Regie im wandlungsfähigen Bühnenbild von Dirk Becker. Sie lässt das Melodram der Tochter aus versoffen-verarmtem Haus, die auf der Kegelbahn verschachert wird und zur Edelnutte absinkt, zunächst ganz einfach, ganz natürlich spielen. Beim Rendezvous am Gartenzaun lässt Greta den geliebten Fritz in sein Künstlerdrama ziehen: „Süßes Lieb’“ – und dann ist er weg, überlasst sein Gretel den rohen Händen des heiratswütigen Wirts. Der Zauber des Waldsees, natürlich mit Hexe, hält sie vom Selbstmord ab und bringt sie – wie auch immer – in das venezianische Venusberg-Bordell.
An dessen Cochonnerien-Angebot konnten sich die Herren im Kaiserreich sicherlich ergötzen, leider lässt auch Gabriele Rech alles an der Rampe rammeln, was Nürnbergs Theater zu bieten hat: Das ist im Manegenrund eigentlich der einzige Sündenfall dieser Aufführung, der mit schwülem Gehopse nur Langeweile provoziert – samt allem Glitzerdekor oder einer Art „Romerzählung“ des unverhofft hereinschneienden Fritz mitten in seinem klassischen Künstlerdrama. Das endet in Akt 3 und bei Gabriele Rech wieder sehr konsequent auf einem kahlen S-Bahnsteig bei rieselndem Schnee und im finalen Duett: Grete wie Ibsens Solveig mit dem verröchelnden Künstler Fritz im Schoß.

Weder tot noch lebendig

Für alle sehr unterschiedlichen Facetten dieser kitschnahen Doppelbiografie in üppigsten Klängen, die schon ein bisschen Arabella oder Wozzeck erahnen lassen, hat Nürnberg eine allen vokalen Anstrengungen gewachsene Besetzung: der Fritz von Michael Putsch wird mit Stentortönen der Orchesterkonkurrenz Herr, Astrid Weber hat große Töne und eine natürliche Spielbegabung für das arme Gretel. Beide heimsten den Löwenanteil beim Buh-durchsetzten Schlussapplaus ein. Aber richtig leben oder richtig sterben kann dieser Untote der Musikgeschichte auch nach der Nürnberger Aufführung nicht. (Uwe Mitsching)

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