Kultur

Wie der Pommersche Kunstschrank einmal aus- gesehen hat, weiß man nur von Bildern: etwa von einem Gemälde (Anton Mozart) anlässlich seiner Übergabe. (Foto: Maximilianmuseum)

02.05.2014

Geheimnisvolles Innenleben

Der prunkvolle Pommersche Kunstschrank ist ein Augsburger Meisterstück – was von ihm übrig ist, zeigt jetzt eine Ausstellung

Am 13. März 1945 zündete im Tieftresor der Berliner Neuen Münze eine zu spät entdeckte Zeitbombe. Die Explosion und der Brand vernichteten eine große Zahl unersetzlicher Kunstwerke – die dort eigens vor den Bombenangriffen auf die Hauptstadt in vermeintliche Sicherheit gebracht worden waren. Unter den Verlusten befand sich auch eine der bis dahin größten Attraktionen des Berliner Kunstgewerbemuseums: der sogenannte Pommersche Kunstschrank aus dem Jahr 1617. Das kunsthistorisch so faszinierende Gehäuse wurde gänzlich ein Raub der Flammen. Glücklicherweise hatte man zuvor das kulturhistorisch und kunsthandwerklich sensationelle Innenleben des Schranks mit über 300 Einzelteilen herausgenommen – das alles blieb unbeschädigt.
Diese Teile kehren nun nach 400 Jahren erstmals in ihre „Geburtsstadt“ Augsburg zurück. Dort entstand ab 1610 das bedeutende Gesamtwerk, das einst europaweit große Beachtung fand. Über 20 renommierte Augsburger Künstler und Kunsthandwerker entwarfen und fertigten in sieben Jahren diesen fürstlichen Prunkschrank im Auftrag von Herzog Philipp II. von Pommern-Stettin (1573 bis 1618).

Auf Kosten sitzen geblieben

Das damals als „Schreibzeug“ bezeichnete Möbel sollte ursprünglich 100 Gulden kosten – letztlich betrug die Endabrechnung 12 000 Gulden; dafür hätte man sich auch drei stattliche Augsburger Patrizierhäuser kaufen können. Kunstsachverständige hätten das gute Stück gar auf 30 000 Gulden „geästimiert“, wie Philipp Hainhofer (1578 bis 1647) jammernd an den herzoglichen Hof in Stettin schrieb. Der Augsburger Unternehmer, Kunstagent und Diplomat war der Schöpfer dieses aufsehenerregenden Schranks. Jedoch alles Klagen nützte nichts, Hainhofer blieb als „Manager“ des Projekts letztlich auf einem erklecklichen Teil seiner Rechnungen sitzen.
Die einmalig lückenlos dokumentierte Entstehungsgeschichte dieses Kunstmöbels steht nun im Mittelpunkt der „Wunderwelt“-Ausstellung im Augsburger Maximilianmuseum. Die von den Kunstsammlungen und Museen Augsburg in Zusammenarbeit mit den Staatlichen Museen Berlin konzipierte Präsentation reicht weit über eine reine Objektdarstellung hinaus. Sie vermittelt dem Besucher einen tiefen Einblick in das europaweite kunstgewerbliche aber auch druckgrafische Netzwerk Augsburgs im 17. Jahrhundert.
Schon am Eingang zu der in zwei Ebenen arrangierten Ausstellung überrascht eine Berliner Filmaufnahme aus dem Jahr 1934 mit einer detaillierten Vorstellung des Kunstschranks und seines gesamten Inhalts.
Dann lernt man die beiden Protagonisten dieses kunstgewerblichen Produkts und ihre Beziehungswelt kennen: Philipp Hainhofer als einen weitgereisten, gebildeten und kunstinteressierten Unternehmer, der sich als Agent europäischer Fürstenhöfe und Berater in Sachen Kunstkammergestaltung einen Namen gemacht hatte. Sichtbares Resultat des Länder übergreifenden Netzwerks sind seine, erstmals in dieser Vollständigkeit aufgelegten prächtig illuminierten „Alba amicorum“, Freundschaftsalben, die damals nur von Männern geführt wurden. Mit ihren prominenten Einträgern und malerischen Beigaben auf höchstem Niveau stellen sie einen Höhepunkt der Stammbuchkultur dar. Nicht von ungefähr wurde Hainhofer zum „Spiritus rector“ des Stammbuchs von Herzog Philipp II. von Pommern. Die ausgestellten Einzelblätter aus diesem in alle Winde zerstreuten Stammbuchs wie auch die überkommene Korrespondenz weisen den fürstlichen Auftraggeber des Kunstschranks als einen hochgebildeten Kunstkenner aus.
Schließlich taucht der Betrachter in das weitverzweigte Innenleben des Kunstschranks ein. Die verschiedenen Abteilungen des Schrankinhalts werden hervorragend beschildert in Glasvitrinen präsentiert. Sie sind eine kulturhistorische Demonstration des damals neuesten Stands wissenschaftlicher Geräte aus Medizin, Heilkunde, Astronomie, Vermessungs, - Wehr- und Handwerkstechnik, aber auch kunstgewerblicher Fertigkeit für Gegenstände des vornehmlich höfischen Lebens wie Toilettengeräte, Spiele und Tafelsilber. Darunter entdeckt man das am frühesten erhaltene und bekannte Tafelsilber und Silberbesteck der frühen Neuzeit. Viele dieser Gerätschaften waren nicht für den täglichen Gebrauch bestimmt, sondern dienten, teilweise in miniaturisierter Form, als Anschauungs- und Vergleichsmaterial.
Die Ausstellung wird abgerundet durch den Vergleich mit anderen zeitgleich und später entstandenen Kabinettschränken aus dem Raum Augsburg. Dadurch wird einmal mehr die kunsthistorische Einmaligkeit des zum Fürstenlob für den pommerschen Herzog Philipp II. „zugeschnittenen“ Kunstschranks deutlich.
Beiträge des opulenten, wissenschaftlichen Katalogs weisen erstmals auf literarische und bildliche Quellen hin, die vermutlich als Vorlage für das mythologisch-christliche Bildprogramm und die inhaltliche Ausstattung des Prunkmöbels gedient haben. Die Spur führt hier interessanterweise in die von Hainhofer oft besuchte Kunstkammer der bayerischen Herzöge Wilhelm V. und Maximilian I. in der Münchner Residenz. (Reiner Oelwein) Bis 29. Juni. Maximilianmuseum, Fuggerplatz 1, 86150 Augsburg. Di. bis So. 10 – 17 Uhr. www.maximilianmuseum.de Abbildungen (Fotos: Maximilianmuseum)
Foto des Prunkstücks, bevor seine Hülle im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Erhalten ist sein Innenleben, so auch ein als Nähkästchen gestaltetes Virginal von Daniel Bidermann.

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