Kultur

Eindrucksvolles Ambiente: Das Ensemble geht baden – aber höchst beeindruckend. (Foto: Terra incognita)

06.09.2013

Geisterstunde im Pool

Andreas Wiedermann inszeniert Benjamin Brittens "The Turn of the Screw" im Müller’schen Volksbad

Einlass nur in Gruppen, Warnung vor Wasserspritzern, Absperrbänder vorm Damenschwimmbecken: Oper in der Jahrhundertwende-Badeanstalt. Da kann der Regisseur nur Andreas Wiedermann heißen.
Zum zweiten Mal nach Mozarts Idomeneo inszeniert er im Münchner Müller’schen Volksbad am Gasteig. Damals ein Stück um den Fluch des Meeresgotts Poseidon, diesmal eine Kammeroper im Herrenhaus am See: Benjamin Brittens The Turn of the Screw. Da geht es nicht um maritime Verhängnisse, sondern um die unruhige Bewegung und das changierende Licht einer Wasserfläche, in die die Opernfiguren hinabtauchen wie in das Element der Sünde.

Livriert ins warme Nass

Die Geschichte der beiden Zöglinge Miles und Flora, die von ihren früheren Erziehern verführt, missbraucht, magisch angezogen werden, passt hervorragend in dieses optisch-akustisch Ungewisse des Schwimmbad-Ambientes.
Die Aktualität von Brittens 100. Geburtstag kam dazu, vielleicht auch die des Themas Missbrauch von Kindern. Die hat offensichtlich seit der Uraufführung 1954 in Venedigs Teatro La Fenice nichts an Bedeutung eingebüßt. Kein Wunder also, dass die relativ wenigen Plätze um das Becken herum und auf den Emporen schnell ausverkauft waren und man gespannt war auf die 16 Bilder und ihre oszillierenden Orchester-Zwischenspiele; von denen gibt es übrigens auch eine faszinierend instrumentierte Suite.
Per Filmprojektion wird man hineingezogen in die geheimnisvolle Geschichte (nach Henry James), folgt mit den Bildern in der Schwimmbad-Kuppel der jungen Gouvernante ins fremde Herrenhaus. Der Chor liefert von der Empore herab die Vorgeschichte. Und während noch der Stock der alten Haushälterin über die Fliesen tapert, ziehen die Choristen ihre Kleider von heute aus – mit Dienerlivrée und Badekostümen von damals geht es ab ins warme Nass. Ungeduldig rennen die beiden Kinder ums Becken – da ist die neue Lehrerin schon aus der filmischen in die Schwimmbad-Realität getreten.
Immer wieder gelingen Wiedermann solche optischen Coups, solche Verwandlungen in dieser doppelbödig-vielgestaltigen Umgebung, in der sich der Kampf um die Seelen der Kinder immer mehr zuspitzt: zwischen den dunkelgrünen Badekabinen, in dem bis fast drei Meter tiefen Wasser. Dazu bekommt jede Orchester-, jede Gesangsstimme eine deutliche Spur des Hallenklangs, man singt sich über den schwimmenden Chor hinweg zu, ganz ätherisch klingen die Zwischenspiele. Bald sind auch die ballspielenden Kinder im Wasser: badende Unschuld oder personifizierte Sünde?
Das Orchester der „Opera incognita“ unter Ernst Bartmann spielt Benjamin Brittens vielschichtige Musik mit aller nötigen Virtuosität. Und mit dem halligen Klang des Schwimmbads entsteht ein zwar nicht authentischer, aber doch konzeptionell überzeugender Höreindruck: eine optische und akustische Geisterstunde.
Die Türen der Badekabinen werden aufgerissen wie Türen zur Vergangenheit, der frühere Verführer und Erzieher Quint geistert durch die ungewiss schimmernde Gegenwart, faszinierend jenseitig klingt das Klagelied des kleinen Miles oder Floras Wiegenlied am See, der für sie zum „toten Meer“ wird. Sehnsüchtig räkeln sich die beiden am Beckenrand in ihren schwülen Träumen, tauchen schließlich ins Wasser ein als wär’s die pure Sünde.

Die Unschuld ertränken

Die sängerischen und schwimmerischen Anforderungen dieser äußerst ungewöhnlichen Britten-Adaption werden überzeugend bewältigt: von der sich aufopfernden Katharina Ruckgaber als junger Gouvernante, von dem einstigen Verführerpaar Susanna Proskura und Bonko Karadjov, von den beiden Kindern Kilian Sicklinger und Sara Dogru.
„Lasst uns die Unschuld feierlich ertränken“, singt der Chor – das Damenschwimmbecken im Müller‘schen Volksbad gibt reichlich Gelegenheit dazu. Und offenbar steht ein Heer von Helfern und Handtüchern im Hintergrund bereit, um auch den finalen Kampf zwischen Miles und Quint mit seinen verführerischen Melismen zu begleiten. So konsequent erotisch hat man Britten noch selten gesehen. (Uwe Mitsching)

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