Kultur

Einer der namhaftesten Bildhauer Bayerns: Lothar Fischer (1933 bis 2004) in seinem Atelier (etwa 1987). (Foto: Deutsches Kunstarchiv im GNM)

20.06.2014

Geschichten hinter Gesichtern

Tausende von Porträts werden derzeit für eine digitale Datenbank zusammengetragen

„Ich kann nicht malen wie der Ochse brüllt“, sagte Conrad Felixmüller, verweigerte im Ersten Weltkrieg den Dienst mit der Waffe und gründete danach die „Dresdner Sezession Gruppe 1919“. Wer kennt diesen Expressionisten, später irritierend farbigen Realisten noch, weiß geschweige denn, wie er aussah? Oder die Bildhauerin Lili Gräf mit ihrem wechselvollen Lebenslauf zwischen Weimar, Baiersdorf in Bayern und Eutin, wo sie 1975 starb. Oder den 2004 verstorbenen Münchner Lothar Fischer, der mit der Gruppe SPUR aus den Sechzigerjahren damals die aktuelle Ausstellungsszene aufmischte?
Für Forscher, Kunstinteressierte, Journalisten, Ausstellungskuratoren hilft bald ein Projekt der „Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz“ dem Mangel ab: 87 Forschungs- und Serviceeinrichtungen, 7100 Wissenschaftler/innen gehören dazu, und viele Leibniz-Institute wie das Germanische Nationalmuseum Nürnberg oder das Deutsche Museum München verfügen ihre riesige Archive: Aus deren Beständen kommen etwa 33 000 Porträts, und zwar nicht nur von Künstlern, in eine Datenbank: „DigiPortA“. Was weniger kurz „Digitalisierung und Erschließung von Porträtbeständen in Archiven der Leibniz-Gemeinschaft“ heißt.

Zugänglich ab März 2015

Im März 2015 soll das Projekt freigeschaltet werden, zu dem das Deutsche Kunstarchiv, das im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg (GNM) beheimatet ist, 4080 Porträts beisteuert. Archivleiterin Birgit Jooss plant darüber hinaus anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Deutschen Kunstarchivs für Oktober 2014 eine virtuelle Ausstellung und für März 2015 eine analoge Ausstellung im GNM mit den realen Porträtfotos auf etwa 300 Quadratmetern Ausstellungsfläche.
Vorgeschlagen wurde das Projekt „DigiPortA“ nicht von Nürnberg, sondern von Wilhelm Füßl vom Münchner Deutschen Museum; neun Leibniz-Institute machen mit, andere verfügen über keine Porträts oder haben keine Kapazitäten für das Projekt frei: Es ist eine Sisyphos-Arbeit, vornehmlich Fotografien, aber auch Zeichnungen, Druckgrafik, Aquarelle aus den Beständen herauszusuchen für die neue Datenbank. Drei Mitarbeiterinnen konnte Birgit Jooss für ein Jahr mit unterschiedlicher Stundenzahl von ihrem Projektetat (etwa 75 000 Euro) beschäftigen.
Einfacher hatten es die Bearbeiter, wenn es für einzelne Künstlernachlässe Bestandsverzeichnisse gab. Wo noch nicht, mussten die Bestände per Hand durchforstet werden. Zur anschließenden Digitalisierung kommt noch ein beschreibender Teil: Wer war der Fotograf, welche Maße hat das Bild, welche Technik, welches Trägermaterial, Datierung, Biografie des Dargestellten, Bildbeschreibung, Sammlungszusammenhang. Das alles wird den Nutzern zusätzlich und standardisiert zu jedem Porträt zur Verfügung stehen – so etwa bei den 50 Bildern, die man im Nachlass von Lothar Fischer gefunden hat.
Den Begriff des Porträts fasst Birgit Jooss nicht zu eng: Man sieht auch Künstler mit Kollegen (beispielsweise der Gruppe SPUR), im Atelier, im Weltkrieg – wie Franz Marc, den ein Foto in Frankreich mit seinen Kameraden zeigt.
Als sehr schwierig erweist sich jeweils die Klärung der Urheber- und der Persönlichkeitsrechte.
Aber über allem steht, „den vorhandenen Beständen ein Gesicht zu geben“, sagt Birgit Jooss. Die Leiterin des Kunstarchivs ist sich sicher, dass DigiPortA viel genutzt werden wird: „Es ist ja weitgehend unpubliziertes Material.“ Ähnliche Projekte wie der Marburger Bildindex werden schon jetzt viel in Anspruch genommen, und ohne die Aussicht auf große Akzeptanz wäre der Projektantrag gar nicht genehmigt worden.

Analog werben

Zu jedem der über 4000 Porträts, die das Deutsche Kunstarchiv beisteuert, kann dessen Leiterin zwar keine Geschichte erzählen – aber sie hofft auf die Nutzer, die zu den Bildern, die sie aufrufen, ihr Wissen einbringen können und auch sollen. Aber Birgit Jooss hat durchaus ein paar Bilder, die ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen: etwa das doppelt belichtete Porträt des Galeristen Ludwig Gutbier, Lili Gräf in ihrem Weimarer Atelier oder eben Conrad Felixmüller, den sie auf einem Foto zusammen mit Otto Dix im digitalen Angebot hat.
„Ich liebe alle meine Projekte, aber das Porträtprojekt liebe ich ganz besonders“, gesteht sie. Deswegen bleibt sie auch bei der Gemeinschaftsaufgabe nicht stehen, sondern stellt „Gesichter des Deutschen Kunstarchivs“ eigens ins Netz und will mit der Ausstellung nächstes Jahr auch analog auf ihre Schätze aufmerksam machen. Das hat den anderen Leibniz-Mitgliedern Lust gemacht auf noch mehr Porträtarbeit. Und: Sie wollen nicht bei Porträts stehen bleiben: Skizzen- und Tagebücher oder illustrierte Künstlerkorrespondenzen wären weitere lohnende Objekte einer Digitalisierung und für noch mehr Datenbanken. Deutschlands Sammlungen sind unerschöpflich – bis hin zu den „bekleideten Flöhen“ aus Mexiko im Deutschen Entomologischen Institut Müncheberg. (Uwe Mitsching) Abbildung (Foto: Deutsches Kunstarchiv im GNM)
Die Bauhausschülerin Lili Gräf (1897 bis 1975) bei der Arbeit an einer Holzskulptur in ihrem Weimarer Atelier (1933).

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