Kultur

So nah, und doch unerreichbar bleibt die schöne Donna Clara für den Zwerg (John Daszak). (Foto Hösl)

04.03.2011

Grausame Spielereien

Kent Naganos Dirigat begeistert beim Opern-Doppelabend mit Zemlinskys "Der Zwerg" und Ravels "L’Enfant et les sortilèges"

Auch die musikalisch Offiziösen genießen das Glück der blinden Hennen und erwischen einmal ein nahrhaftes Körnchen ...“, feierte die Münchner Post die Juroren, als die preisgekrönte Oper Sarema des 26-jährigen Alexander Zemlinsky 1897 in München uraufgeführt wurde. Nach 114 Jahren ermöglicht es Kent Nagano nachzuprüfen, wie sich „des vielverheißenden Talents starke dramatische Erfindung in der wirklichen Theatermusik“ entwickelt hat.
Der Zwerg (1922) nach einer Erzählung von Oscar Wilde schildert die Tragödie eines Gnoms, der sich für einen Adonis hält, weil er noch nie in einen Spiegel geblickt hat. Als Sklave aufgewachsen, hat ein Sultan den Missgebildeten der 18-jährigen Infantin zum Geburtstag geschenkt; jäh entflammt er für die taufrische Schönheit, die in ihm nur ein Spielzeug sieht und dem Verblendeten herzlos Gefühle vorgaukelt. Erkennt er zuböserletzt seine Hässlichkeit im Spiegel, bricht er an überanstrengtem Herzen zusammen. Die Infantin tanzt ungerührt weiter.
Man mag in dem erbarmungslosen Spiel Autobiografisches wittern: Zemlinsky, alles eher denn ein Schönling, hatte in Alma Mahler, als sie noch Fräulein Schindler hieß, seine „Infantin“ gefunden. Die Umschwärmte war in ihrer Künstler-Sammler-Manie immerhin zu „necking and petting“ bereit, bevor sie schier über Nacht den Hochbegabten gegen das Genie Mahler eintauschte.
Man kann auch aus dem emphatischen Wortschwall des Librettisten Georg C. Klaren ein rassistisch verbrämtes, von Otto Weiningers Theorien in Geschlecht und Charakter stigmatisiertes Außenseiter-Drama herausfiltern. Regisseur Grzegorz Jarzyna erzählt unbefrachtet ziemlich genau die Oper, nicht am Madrider Hof Philipp IV., wie ihn Velasquez malte und dem Komponisten vorschwebte, sondern in einem Phantasie-Raum, einer Art Nobel-Garage, die Platz für viele Schöne im Reifrock und zwei lädierte Limousinen bietet, auf deren Motorhauben sich’s dekorativ, doch unbequem räkeln lässt.

Verwöhnter Fratz

Der Präsentkarton birgt einen „normal“ Gewachsenen, den erst des Zuschauers Imaginationskraft zum Zwerg schrumpeln lassen muss. Das ersparte Knie-Rutschen erleichtert die Monsterpartie (in des Wortes doppeltem Sinn), die John Daszak intensiv, oft mit Glanz, nicht immer mit Schmelz singt. Charme eines verwöhnten Fratzen, lustvolle Grausamkeit, Mitleidsaufwallung und lyrische Sonnenhöhe sind der Sopranistin Camilla Tilling eigen. Hochbesetzt sind alle Nebenrollen wie mit Irmgard Vilsmaier als Ghita.
Kent Nagano musiziert dieses hochexpressive spätromantische Großorchesterstück mit seinen kühnen harmonischen und orchestral gleißnerischen Farben kontrolliert rauschhaft, modelliert subtil die Innensicht der Gestalten, ihr vermeintliches Glück, erotische Pein, verzweifeltes Aufbegehren, eingebettet im „höfischen Rahmen“ zwischen Entrada, Tanz und Geplauder. Sein transparentes Musizieren lässt verfolgen, wie Zemlinsky, der die Tonalität nie aufgab, an der Brücke zwischen Strauss/Mahler und der zweiten Wiener Schule baute. Er war mit Schönberg, der seine Schwester Mathilde geheiratet hatte, wohl familiär verschwägert, doch musikalisch nicht verwandt.
Dem Dirigat Kent Naganos verdankt auch das dem Zemlinsky-Einakter vorangehende Zauberspiel Ravels L’Enfant et les sortilèges seinen Erfolg. Seine elementare Musikalität und gleichzeitig das interpretatorische Kalkül, Kunstintelligenz und Spontaneität, sein gereifter Sinn für Esprit und Charme französischer Musik sind ideal für dieses filigrane Meisterwerk. Welche Valeurs der Holzbläser, ganz unwagnerische BlechPassagen, traumversponnen und brillant beweglich die Streicher, witzige Klangspielereien, virtuos die Jazzelemente im Teekannen-Foxtrott, ironisch das Katzenduett, und dann wieder die Herzensgüte beim Erscheinen der Prinzessin. Vor dem Auftakt mit keuschem Oboenklang darf man rätseln: auf offener Bühne ein Wagen, beladen mit einem Zimmer als Bühne auf der Bühne, davor ein Fernsehteam, wuselnde Bühnenarbeiter, ein Inspizient mit letzten Instruktionen für die Hauptdarstellerin (Tara Erraught wird den Trotzkopf facettenreich darstellen und singen), der Dirigent verirrt sich gar.
Doch die Idee einer dritten Ebene wird nicht stilbildend, geschweige konsequent verfolgt. Bald macht uns Grzegorz Jarzyna ohne Umschweif mit dem destruktiven Knaben bekannt, der Pflanzen und Tiere misshandelt und die sich nun zur Wehr setzen – je nachdem amüsant oder bedrohlich.
Kostüme und Masken in überbordender Fülle und Pracht, die Tiere der Realität angenähert oder abstrahiert verfremdet. Szenikerin Maciejewska, Kostümbildnerin Duszynsky und Lichtvirtuosin Sobiszewski wetteifern für eine fantasievolle Fassung von Ravels Schmuckstück. (Klaus Adam)

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