Kultur

Otto Katzameier steht als Dominique im Zentrum des Stücks. (Foto: Jochen Quast)

27.01.2017

Grelle Monstershow

Moritz Eggerts Oper "Freax" provoziert, aber begeistert das Regensburger Publikum

Darf ein siamesischer Zwilling schwanger werden, darf ein Zwerg eine 1,78-Meter-Krankenschwester lieben – der dürfen sie es sich zumindest wünschen? Die Frage hat sich 1932 Tod Browning in dem Horror-Film Freaks gestellt: Es geht um Monster und Leidenschaften im Zirkus. Jetzt gibt es das Thema als Oper. Das Vorspiel dazu war schon vor zehn Jahren, als der damalige Bonner Opernchef und heutige Regensburger Intendant Jens Neundorff von Enzberg ein Libretto bei Hannah Dübgen und Musik bei Moritz Eggert bestellte. Für den einst als skandalös empfundenen Stoff fand er damals einen Skandalregisseur: Christoph Schlingensief (1960 bis 2010). Der wurde seinem Ruf gerecht, sagte kurz vor der Premiere ab, Freax wurde konzertant mehrfach aufgeführt. Jetzt hat sich Neundorff daran erinnert. Doch der vorgesehene Regisseur Jim Lucassen erkrankte, Hendrik Müller übernahm, und das Theater am Bismarckplatz hatte seine szenische Uraufführung. Bevor man sich auf die einlässt, schlägt man besser im Lexikon nach: „Freak“ heißt eigentlich „Anomalie“, „Missgeburt“ – Dübgen übersetzt „körperlich besondere Menschen“. Zu Zeiten der Monster-Shows in den USA oder des Schichtl auf dem Oktoberfest hätte man Freax wahrscheinlich stilecht aufgeführt – jetzt hatte Lucassen die doppelbödige Idee: „normale“ Menschen spielen „Missgeburten“ (oder umgekehrt), der siamesische Zwilling läuft getrennt durchs Leben – nur die Nöte des Hermaphroditen, die erlebt man bis zur grausamen Selbstverstümmelung von Dominique quälend mit. Otto Katzameier aus der Bonner musikalischen Uraufführung wird in dieser Rolle zwischen Sopran und Bass zum anrührenden Zentrum des Stücks.

Rollengeile Greise

Die Geschichte spielt in einer Art Künstler-Altersheim, einem Käfig voller Narren, rollengeilen Greisen und beschickertem Personal. Ausgerechnet in die nymphomane Krankenschwester Isabella hat sich der kleinwüchsige Franz verliebt. Die Freax feiern deren Fake-Hochzeit im Speisesaal und stutzen in geiferndem Sexualneid die große Isabella auf klein zurecht. Aber ohne Arme und Beine will der inkontinente Franz sie auch nicht mehr haben und legt den Götterdämmerungs- Weltenbrand im Altersheim: Schluss mit den Monster-Shows, der diabolische „Loge“-Verschnitt Hilbert (Matthias Wölbitsch als quirliger Irrer) dankt für den Besuch der Vorstellung. Über all der kruden Handlung vergisst man fast Moritz Eggerts Musik. Eggert (51 Jahre alt) kann Musik zu den ungewöhnlichsten Themen schreiben und versteht sich als Vertreter einer „verständlichen“ neuen Musik. Die Ring- Anspielungen zeigen: wagnerlastig, mehr noch puccinesk von Tosca bis Schwester Angelika, aber mehr noch an den großen Erfolgen der Zwanzigerjahre orientiert: an Korngolds Die tote Stadt, an Schrekers Der ferne Klang – auch diese Opern sind ein bisschen nekrophil, monströs und mit den ganz hohen Tönen. Mit denen kommen in Regensburg die Hauptdarsteller Michaela Schneider und Matthias Laferi als dubioses Liebespaar bestens zurecht – auch mit den darstellerischen Anforderungen, einladend offenen Hosenschlitzen und versifften Windeln. Als Provokation „sei das Stück nie gedacht gewesen“, behauptet Neundorff vor der Premiere, es sei eher eine „liebevolle Auseinandersetzung“ , „eine Hommage an die Menschen mit Handicap, die Lust auf Kunst haben.“ Greller, provokanter allerdings konnten er und sein Regisseur Müller das Thema nicht auf die Bühne bringen. Eggerts eingängiger und unaufhörlicher Musikbandwurm jedenfalls, die grellen Karikaturen menschlicher Monstrositäten im coolen Drehbühnenbild von Marc Weeger und mit dem lustvoll dirigierenden Tom Woods haben den Zuschauern gefallen: Sie waren Voyeure bei dieser Monstershow. Nach ratlosen Mienen zur Pause gab es Ovationen zum Schluss. (Uwe Mitsching)

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