Kultur

Sebastian König begeistert in der Rolle des Judas. (Foto: Thomas Langer)

09.12.2016

Held oder Verräter?

Der Monolog "Judas" stellt die überkommene Rolle des Jesus-Denunzinanten in Frage

Er gilt als Inbegriff des Denunzianten, Kollaborateurs und Verräters, der für 30 Silberlinge seinen Freund und Führer, Jesus von Nazareth, dem Tod am Kreuz auslieferte und mit seinem Judas-Kuss bis heute die Scheinheiligkeit sprichwörtlich machte. Aber hatte dieser Jünger Jesu überhaupt eine andere Chance als den Verrat, nachdem Jesus beim letzten Abendmahl alternativlos vorausgesagt hatte: „Einer unter euch wird mich verraten!“ Hätte Jesus, der „König der Juden“, sich nicht bis auf die Knochen blamiert, wenn Judas ihn nicht verraten und den Römern ans Messer geliefert und damit Jesus Lügen gestraft hätte? Und wenn seine, an Petrus gerichtete Prophezeiung sich nicht bewahrheitet hätte: „Noch ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verraten.“ Im Kulturforum des Fürther Theaters sagt Sebastian König in der Rolle des Judas noch vor Aufführungsbeginn den Zuschauern auf den Kopf zu, dass „Einer unter Ihnen“ keinen Eintritt bezahlt habe – und zieht so das Publikum in seine unglaubliche Geschichtsumdeutung hinein, die aus Judas, dem Verräter, den wahren Revolutionär macht, der Jesus als „Heilsbringer“ nicht sein wollte.

Zweifel an Überkommenem

Judas ist ein großer Monolog, den die niederländische Dramatikerin Lot Vekemans 2006 geschrieben hat, um die Geschichte hinter der Geschichte, die „wahre“ Geschichte über Judas Ischariot zu erzählen. Vorausgegangen war damals die Entdeckung eines apokryphen Textes zum Johannes-Evangelium, der Judas in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt und ihn als engsten Vertrauten von Jesus charakterisiert. Wurde Judas womöglich gar von Jesus selbst oder von seinen Jüngern instrumentalisiert, um Jesus zum lange vorhergesagten Messias zu machen, der erst als Opfer eines Verrats gekreuzigt werden und als Märtyrer sterben musste, um als Religionsstifter in die Geschichte einzugehen?

Spiegelbild einer Medaille

Werner Müller, Fürther Theater-Intendant , inszeniert (un)passend zur Weihnachtszeit dieses Kammerspiel und provoziert ein christlich-festlich eingestimmtes Publikum mit solchen Zweifeln am rechten Glauben. Schauspieler Sebastian König macht daraus eine gleichsam selbst inszenierte Show, in der er in immer neuen Anläufen – mal nachdenklich und melancholisch, mal berserkerhaft gegen sein unabdingbares Schicksal wütend – nicht nur sich, sondern auch das Publikum direkt fragt, was denn aus Jesus und ihm geworden wäre, wenn er ihn nicht erst den Römern, dann dem entfesselten Mob der Juden ausgeliefert hätte. „Kreuziget ihn“, ruft das Volk und es klingt ein bisschen wie „Merkel muss weg!“ bei einer Pegida-Demonstration. Was wiederum zum Spielort des Kulturforums, dem einstigen Fürther Schlachthof, passt. Dort turnt vor nachtschwarzem Hintergrund Sebastian König als Judas auf einem mehrstufigen Podest (Bühnenbild Christian van Loock) irrlichternd herum, um schließlich, in Jeans und zerschlissenen Turnschuhen, ganz oben auf dem Tisch des Letzten Abendmahls, wie an einem Kreuz zu landen. Ist Jesus, der Heiland, der Held oder nicht doch Judas, den der Mythos zum negativen Gegenbild des Erlösers machte? Jesus und Judas – Spiegelbild einer Medaille? Fragen, auf die das Publikum mit enthusiastischem Beifall reagierte. (Fridrich J. Bröder)

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