Kultur

Zum Live-Spiel auf der Bühne flimmern Videoprojektionen: Dadurch wird die Zerrissenheit im Wahn des Macbeth (Jakob Immervoll) betont. Links im Bild Jan Meeno Jürgens als Rosse, rechts Henriette Nagel als Banquo. (Foto: Gabriela Neeb)

04.06.2021

Horror im Gruftilook

In Shakespeares „Macbeth“ am Münchner Volkstheater steigert Jakob Immervoll den Charakter des Königs ins maßlos Widerwärtige

Die Zeit scheint reif für die Horrortragödien von William Shakespeare. Die Gegenwart wirkt bisweilen sogar wie von Shakespeare entworfen. Allenthalben sind politische Grusel-Clowns aktiv. Selbst in westlichen Demokratien machen machthungrige, autoritäre Populisten steile Karriere. Einer von ihnen war sogar US-Präsident. Gleichzeitig erscheint die Gesellschaft nach 14 Monaten Pandemie-Maßnahmen tief gespalten. So ist es im Grunde nur konsequent, dass an der Bayerischen Staatsoper kürzlich die Lear-Oper von Aribert Reimann Premiere hatte. Am benachbarten Residenztheater läuft hingegen derzeit Hamlet, und jetzt folgt Die Tragödie des Macbeth am Münchner Volkstheater. Es war die letzte Premiere am alten Haus an der Brienner Straße. Im Herbst geht es am neuen Spielort im Sendlinger Schlachthofviertel weiter.

Verhängnisvolle Psyche

Für seinen Macbeth hat es sich Philipp Arnold, künftig der neue Hausregisseur des Volkstheaters, nicht leicht gemacht. Statt auf das Politische in dieser Shakespeare-Tragödie zu setzen, wagt er eine Innenschau. Er möchte den Blick für die verhängnisvolle Psyche des machthungrigen Schlächters schärfen.

Dazu hat Viktor Reim eine spartanische, geradezu leere Bühne entworfen – so nackt wie die Psyche des tragischen Titelhelden. Zwei rollbare Metallgestelle beherrschen die Szene. Sie lassen sich zu einem Klettergerüst zusammenstellen und wieder trennen, können als Raumteiler fungieren oder als Halterung für Videoprojektionen.

Es sind gewissermaßen live im hinteren Bühnenraum gedrehte Filme, die wiederholt eingeblendet werden. Das erzeugt ein reibungsvolles Spiel der Perspektive. Was sieht Macbeth und was nicht? Was ist Sein und Schein in seinem Wahn, was ist Fakt und was ist Fake? Es ist ein Spiel mit und ein Ringen um Wahrheit. Genau das ist für Arnold das Aktuelle in diesem 1606 uraufgeführten Schauerstück.

Für schaurige Gruselatmosphäre soll die Musik von Adel Akram Alameddine sorgen: ein Dauergrummeln, zunächst leise und schließlich immer lauter, bedrohlicher werdend. Diese Dauerbeschallung nutzt sich freilich bald ab. Noch dazu kann sie nicht verbergen, dass es einige darstellerische Schwächen gibt. Es ist ganz wunderbar, dass das Münchner Volkstheater auf junge Kräfte setzt. Allerdings wirkt die Lady Macbeth von Anne Stein gar nicht wie die abgründige Strippenzieherin, die sie eigentlich ist. Das liegt an der recht eintönigen Ausgestaltung der Worte von Anne Stein. Statt mit dem Klang der Sprache zu jonglieren, zu crescendieren oder abrupt im Ausdruck zu wechseln, bleibt alles recht monoton.

Jonathan Müller als Duncan und Macduff sowie Jan Meeno Jürgens als Rosse überzeugen mehr. In den Kostümen von Julia Dietrich scheint Lady Macbeth wie auch der Banquo von Henriette Nagel und Max Poerting als Malcolm einer Gothic-Grufti-Punk-Show der 1980er-Jahre entsprungen.

Wunderbar schenkt Anne Stein der Lady einen geradezu würdevollen Tod. Im Schlaf durch die Szene wandelnd, sucht sie nach Läuterung in ihren Gewissensqualen. Sie sinkt hernieder, bettet sich für den ewigen Schlaf: ganz ohne großes Pathos. Eine furchtbare Schuld hat sie auf sich geladen, indem sie ihren Gatten zum Bösen anstachelte.

Doch das Grauen verselbstständigt sich. Wie Jakob Immervoll als Macbeth diese Steigerung ins maßlos Widerwärtige ausgestaltet, nach jeder Horrortat mit sich und seinem Gewissen ringend, das ist sehens- und hörenswert. Denn Immervoll versteht es eben, mit dem Klang der Sprache, dem Ausdruck und der Mimik lustvoll zu spielen.

Schier unerträglich

Alles fängt ganz harmlos an. Dieser Macbeth wirkt zunächst ganz und gar nicht vom Bösen besessen. Was sich bald jedoch zusehends entlädt, ist ein Ritt in den Hirnhorror von Macbeth. Er grinst und lacht, jammert und wimmert, kreischt und schreit, flüstert und keucht, starrt und weitet seine Augen. Das ist schier unerträglich, im allerbesten Sinn. Und die drei Hexen? Es ist konsequent, dass sie Hirngespinste von Macbeth sind. Diese Idee ist nicht neu, aber wirkungsvoll, vor allem in dieser Inszenierung. Sie tragen Tücher über den Gesichtern, agieren maskenhaft und gesichtslos. Ihre langen Finger an den übergroßen, runzligen Händen wirken wie Dolche. Das passt vortrefflich, weil die Hexen hier letzten Endes die Opfer von Macbeth sind. (Marco Frei)

 

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