Kultur

Max Schreck in „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ (1922). Hier ein Ausschnitt aus einem Filmbild - die gesamte Szene und noch weiter Fotos zu Murnau sehen Sie in der bildergalerie am Ende des Beitrags. (Foto: Deutsche Kinemathek)

21.10.2016

In den Klauen des Grauens

Friedrich Wilhelm Murnau und der expressionistische Film: Eine spektakuläre Sonderausstellung im Münchner Lenbachhaus

Wenn einen das blanke Grauen packt: Wie kein anderer erzählte Friedrich Wilhelm Murnau davon in seinen Filmen. Das Münchner Lenbachhaus erweist dem „Nosferatu“- Regisseur nun eine große Hommage. In der geht es um Murnaus Beeinflussung durch den Expressionismus. Das vielleicht älteste Gefühl, das die Menschheit kennt, ist die Angst; und die stärkste Angst ist die vor dem Unbekannten. Einer, der das mit filmischen Mitteln besonders deutlich machte, war Friedrich Wilhelm Murnau (1888 bis 1931). In seinen Lichtspielen betritt der Zuschauer eine schattenhaft-gespenstische Welt, voll von Schrecken, Dämonen und romantischer Poesie. Murnau war ein typischer Repräsentant des Kinos in der Weimarer Republik: Damals besaß man eine Vorliebe für düstere Sujets und expressionistische Ausdrucksformen. Geboren wurde Murnau in Bielefeld unter dem Namen Friedrich Wilhelm Plumpe. 1892 zog die Familie nach Kassel, 1902 in die nahegelegene Wilhelmshöhe. Schon im Kindesalter entwickelte Murnau eine Begeisterung für Kunst und Theater – er wollte Schauspieler werden. Nach dem Willen des Vaters, eines reichen Tuchfabrikanten, sollte er jedoch Lehrer werden. Das Studium der Philologie sowie der Kunstgeschichte und Literatur bracht er jedoch ab, um sich dann doch ganz den schönen Künsten zu widmen.

Kontakte zur Maler-Kolonie

Um 1911 legte er sich den Künstlernamen Murnau zu – wegen seiner emotionalen Beziehung zur oberbayerischen Gemeinde Murnau am Staffelsee. Dort im Voralpenland, unweit von Garmisch-Partenkirchen, verbrachte er die Sommerferien 1910 und knüpfte enge Kontakte zur dortigen Künstlerkolonie. Künstlerische Anregungen ließ er in sein eigenes kreatives Schaffen einfließen. Doch um Karriere zu machen, musste er die Provinz verlassen: 1913 wagte er den Sprung nach Berlin, ins kulturelle Zentrum des ausgehenden Kaiserreiches. Als Schauspieler bewies Murnau Talent – der berühmte Theaterregisseur Max Reinhardt entdeckte ihn und nahm ihn in sein Berliner Ensemble auf. Dann der Erste Weltkrieg: 1914 meldete sich Murnau als Kriegsfreiwilliger, kämpfte zunächst an der Ostfront und wirkte seit 1917 als Aufklärungsflieger. Bei einem seiner Flüge musste er in der Schweiz notlanden und wurde interniert. Während seines unfreiwilligen Aufenthalts entwickelte Murnau Interesse für den Film; er skizzierte erste Drehbücher. Nach Kriegsende kehrte er nach Berlin zurück. Dort gelang ihm der Einstieg in die noch junge Filmbranche. 1919 inszenierte er sein erstes Lichtspiel: Der Knabe in Blau – eine romantische Schauergeschichte, inspiriert vom gleichnamigen Gemälde des englischen Landschaftsmalers Thomas Gainsborough).

Durchbruch mit "Nosferatu"

Sein künstlerischer Durchbruch gelang Murnau 1922 mit Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens. 1924 engagierte ihn die UFA, das größte deutsche Filmunternehmen, als Regisseur. Mit Der letzte Mann, einer sozialkritischen Milieustudie über einen Hotelportier, der im Alter zum Toilettenmann degradiert wird, erntete Murnau erstmals internationalen Ruhm. Es folgten zwei weitere herausragende UFA-Filme: Tartüff (1925) nach Molière und Faust – Eine deutsche Volkssage (1926). Ernsthafter Konkurrent um den Rang des führenden deutschen Regisseurs war damals nur Fritz Lang (1890 bis 1976). Der gebürtige Wiener schuf epochale Meisterwerke: etwa den Kriminalfilm Dr. Mabuse, der Spieler (1922) und den Science-Fiction-Film Metropolis (1927). Murnaus Filme, vor allem Der letzte Mann, machten ihn auch bei den Amerikanern bekannt. Er nahm das Angebot von Produzent William Fox an und ging in die USA. 1927 entstand sein Debütfilm für Fox: Sunrise. Dieser gewann 1929 bei der ersten Oscarverleihung der Filmgeschichte gleich drei Auszeichnungen. Dennoch musste sich Murnau bei seinen nächsten Filmen künstlerische Eingriffe durch die Produktionsfirma gefallen lassen: Das amerikanische Massenpublikum, das an unkomplizierte Unterhaltung und triviale Handlungen gewohnt war, konnte sich nicht für Murnaus anspruchsvolle Kunstwerke begeistern.

Segeltour durch die Südsee

Murnau kehrte Fox den Rücken und verwirklichte mit eigenen finanziellen Mitteln ein waghalsiges Projekt: 1929 segelte er mit einer Jacht in die Südsee und drehte auf der Insel Bora Bora Tabu – eine außergewöhnliche Mischung aus Abenteuerfilm und ethnographischer Studie. Es sollte Murnaus letzter Film werden. Er starb am 11. März 1913 an den Folgen eines Autounfalls in Kalifornien. Beerdigt ist er auf dem Waldfriedhof Stahnsdorf bei Berlin. Etwa 80 Prozent aller Stummfilme des Kintopp gelten als verschollen – so auch neun der insgesamt 21 Murnau-Filme. Eine entscheidende Inspirationsquelle für seine Arbeiten war der Expressionismus. Charakteristisch für den expressionistischen Stummfilm waren die extrovertierte, gestenreiche und plakative Art des Schauspielens sowie die antirealistisch gestalteten Filmkulissen mit ausgefallenen Formen und verzogenen geometrischen Figuren. Die Filmemacher hatten ein Faible für übersinnliche Phänomene und schwarze Romantik. Bedeutende frühe Beispiele hierfür sind die 1920 erschienenen Horrorfilme Das Cabinet des Dr. Caligari von Robert Wiene und Der Golem von Paul Wegener und Carl Boese.

Diffuse Beleuchtung

Typisch für die Filmsprache Murnaus ist der deutliche Kontrast zwischen Licht und Schatten, ebenso der Hang zu diffuser Beleuchtungstechnik. Besonders eindrucksvoll kamen seine stilistischen Finessen bei Nosferatu zur Geltung. Der Vampirklassiker von 1922 ist die erste Adaption von Bram Stokers Roman Dracula. Murnau erzeugt auf unnachahmliche Weise das Gefühl todbringenden Grauens. Die Entstehungsgeschichte des Films ist geradezu abenteuerlich. Als Produzent und künstlerischer Leiter fungierte der gebürtige Leipziger Albin Grau (1884 bis 1971), der nach dem Zweiten Weltkrieg in Bayrischzell lebte – ein Maler, Grafiker und Bühnenbildner mit einer Obsession für alles Okkulte. Nachdem Grau eine Zeit lang für die UFA-Studios als Ausstatter gearbeitet hatte, gründete er 1921 eine eigene Filmgesellschaft, die „Prana-Film“. Nach zwei Filmproduktionen meldete er Konkurs an. Auch der Hauptdarsteller des Nosferatu-Films war in Bayern kein Unbekannter. Max Schreck, geboren 1879 in Berlin, gestorben 1936 in München, trat seit 1919 bei den Münchner Kammerspielen auf. Schrecks Name war Programm: Im Film verkörperte er den Vampirgrafen Orlok dermaßen glaubwürdig, dass er das damalige Kinopublikum regelrecht schockierte. Lange Zeit hielt sich hartnäckig das Gerücht, Schreck sei ein echter Vampir gewesen. Die Wahrheit ist weniger spektakulär : Grau verpasste dem Schauspieler eine Maske mit Hakennase, Pinselohren, Fangzähnen und Krallenhänden, sodass Schrecks Aussehen bis zur Unkenntlichkeit verändert wurde.

Ärger um „Dracula“-Rechte

Den künstlerischen Erfolg von Nosferatu macht freilich Murnaus Regie aus. Er zog für die Umsetzung dieser Vampirgeschichte alle Register seines Könnens. Die technische Perfektion, die enorm virtuose und bewegliche Kameraführung sowie die durch eine ausgefeilte Lichtregie erzeugte düster-geheimnisvolle Atmosphäre machen den Film zu einem Höhepunkt des deutschen expressionistischen Stummfilms. Die Uraufführung am 4. März 1922 im Marmorsaal des Zoologischen Gartens Berlin war ein voller Erfolg. Seitdem folgten zahlreiche Neuverfilmungen dieses Stoffes – Murnaus Version jedoch blieb einzigartig. Dass dieses Meisterwerk überhaupt noch existiert, grenzt fast an ein Wunder. Florence Stoker, die Witwe des irischen Schriftstellers und „Dracula“-Erfinders, verklagte den Produzenten Grau. Die Begründung lautete: Der Film orientiere sich eindeutig an der Romanvorlage ihres Mannes, ohne dass Grau ihr die Urheberrechte abgekauft habe. Vor Gericht gewann Florence Stoker; Grau wurde dazu verurteilt, alle vorrätigen Filmmaterialien zu vernichten. Glücklicherweise haben sich mehrere Kopien erhalten, sodass der Film rekonstruiert werden konnte. 1966 wurde durch Beschluss der damaligen Bundesregierung eine Stiftung in Wiesbaden gegründet, die einen großen Teil des deutschen Kinoerbes aufbewahrt und historische Filme auf wissenschaftlicher Basis restauriert. Zu Ehren des großen Regisseurs erhielt sie den Namen „Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung“. (Daniel Carlo Pangerl) Information: Friedrich Wilhelm Murnau – Eine Hommage. 25. Oktober bis 26. Februar 2017. Städtische Galerie im Lenbachhaus, Luisenstraße 33, 80333 München. Di. 10-21 Uhr, Mi. bis So. 10-18 Uhr. www.lenbachhaus.de

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