Kultur

1936 war Chaplins "Modern Times" in den USA erstmals zu sehen: Eine Satire nicht nur auf die Entindividualisierung in der Arbeitswelt, sondern auch auf Tonfilm. (Foto: dpa)

06.02.2017

Intensiver Klang

Die Nürnberger Symphoniker begleiten Chaplin-Klassiker "Modern Times" mit der Orchesterpartitur von Timothy Brock

Die Hamburger stürmen nicht nur die neue Elbphilharmonie, auch die dortige alte Laeisz-Konzerthalle ist ausverkauft. Zum Beispiel, wenn es darin einen der wichtigsten Filme des 20. Jahrhunderts zu sehen gibt: „Modern Times“ – mit Musik untermalt. Nürnberg macht es vor: zwei ausverkaufte Vorstellungen kurz vor Hamburg. In beiden Städten mit dem gleichen Dirigenten: Stefanos Tsialis aus Athen steht am Pult; er ist bekannt an vielen deutschen Opernhäusern. Hamburg hat seine eigene „Modern Times“-Geschichte, denn dort wurde die minutiöse Restaurierung von Charles Chaplins Filmmusik mit der NDR-Radiophilharmonie erstmals eingespielt. Timothy Brock hat eine Art kritischer Ausgabe der Partitur erstellt, verschollenes Material ergänzt und eine Orchesterfassung erarbeitet, die Chaplins ambitionierte Komposition noch deutlicher herausgearbeitet hat als die ursprüngliche Tonspur des Films. Nürnberg hat mit den Symphonikern ein Orchester, das seit Jahren Filmmusik aufnimmt und aufführt, auch immer maßgeblich an den alljährlichen  „Stummfilm-Musiktagen“ beteiligt war: zuerst in Erlangen, dann in Nürnberg. Jetzt ziehen sie sich von dem Projekt zurück, das  es ohne Symphoniker ab Oktober  2017 in der Tafelhalle als Neuauflage geben wird. Dass es ein Publikum dafür gibt, das die Symphoniker auch weiterhin mit ihrer „Symphoniker – plus“-Reihe bedienen wollen, zeigen die beiden Chaplin-Aufführungen im Kongresshallen-Konzertsaal. Dort spielen die Nürnberger Symphoniker  höchst virtuos die Brock-Fassung aus dem Jahr 2000. Von Anfang an ist das keine armselige Stehgeiger-Filmmusik aus alten Stummfilmzeiten, sondern von Chaplin in aller Opulenz einer 70-Mann-Besetzung als Teil eines filmischen Gesamtkunstwerks komponiert - 1936 und damit in einer Zeit, als der Stummfilm längst vom Tonfilm überholt war. „Modern Times“ ist sehr bewusst anachronistisch ein Film, der veraltete Stummfilmelemente als Gestaltungsmittel einsetzt. Chaplin hatte selbst die genialen Einfälle zu seiner Maschinen-, Polit- oder Tanzmusik, sein Schüler David Raskin musste sie für ihn aufschreiben und instrumentieren: hinreißend und einfallsreich für ein Kunstwerk, das wie wenige das 20. Jahrhundert in seinen wichtigsten Zügen beschreibt. es geht um Vermassung, Maschinenwelt, soziale Fragen, den Überwachungsstaat, Konsumträume und vieles mehr. Musik als Gestaltungsmittel wollte Chaplin nicht aus der Hand geben und hat sie bis 1976 für mehr als ein Dutzend Filme selbst geschrieben. Das Nürnberger Publikum nahm diese Wiederbegegnung amüsiert, bewegt, begeistert auf und feierte neben dem genialen Film die Symphoniker und den versiert agierenden Athener Gast für diese präzise, klangintensive und absolut professionelle Wiedergabe. Auch die Aufführungsgeschichte dieses Films liest sich wie packende Zeitgeschichte: erst 20 Jahre nach der Uraufführung wurde "Modern Times" in Deutschland gezeigt, sogar erst 1978 in der DDR. Und während der Kommunisten-Jagd unter FBI-Chef Hoover durfte Chaplin gerade wegen „Modern Times“ nicht mehr in die USA einreisen.  So ganz glauben mag man seinem Understatement aber  nicht: „Es gibt Leute, die meinem Werk soziale Bedeutung beimessen. Es hat keine. Das ist ein Thema für Vortragsredner. Meine Absicht ist zuerst zu unterhalten.“(Uwe Mitsching)

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