Kultur

Wie eine Prinzessin ausstaffiert ist die „FaustIn“ – wie Birgit Minichmayr diese gequälte Frau spielt, wird zu einem erschütternden Ereignis. (foto: Dashuber)

04.07.2014

Inzest-Schocker in der Grabkammer

Kammerspiele-Intendant Johan Simons inszeniert Elfriede Jelineks "FaustIn and out" fürs Staatsschauspiel

Was gerade „in“ und „out“ ist, steht in Zeitgeist-Magazinen. Goethes Faust war noch nie out, aber derzeit ist er besonders in. Zumindest am Bayerischen Staatsschauspiel, dessen Intendant Martin Ku(s)ej das Überdrama mit wuchtiger Pranke ins Münchner Residenztheater knallt – mit einer Ergänzung. Und dazu lud er erstmals seinen Kollegen von gegenüber ein: Also brachte Johan Simons, Intendant der Münchner Kammerspiele, Elfriede Jelineks FaustIn and out auf die Bühne des Cuvilliéstheaters.
Der Kontrast zwischen diesem Rokoko-Raum und dem schrecklichen Sujet sorgt für faszinierende Spannungen. Denn in Jelineks Sekundär-Drama, wie sie es nennt, geht es um die Tragödie von Amstetten (Österreich), wo ein gewisser Fritzl seine Tochter 24 Jahre lang in einen Keller sperrte und dort mehrere Kinder mit ihr zeugte, während er oben mit der Gattin ein „normales“ Familienleben führte.
Diese Tochter überlagert sich in dem Stück voller Faust-Zitate mit der Figur „FaustIn“, dem Gretchen im Kerker, während in der zweiten Figur, „GeistIn“ genannt, der Vergewaltiger, der Erdgeist und Mephisto überblendet sind: Oliver Nägele gibt keinen schmierigen österreichischen Heimwerker, kein Klischee von der Banalität des Bösen, sondern einen weltläufigen Herrn im Smoking.

Alltagssprache aufbrechen

Zuerst fährt aber mit Gerumpel der eiserne Vorhang hoch – dahinter steht die zweite Wand: Auf ganzer Höhe ist die Bühne von Muriel Gerstner mit einer Backsteinmauer verschlossen, darin zwei Portale im römisch-etruskischen Stil, Eingänge in die Unterwelt, eine ortlose Schwärze, aus der gedämpft technisches Dröhnen dringt.
Im rechten Grabkammer-Tor stammelt und krümmt sich FaustIn – links monologisiert GeistIn. Darüber prangt in antikisierenden Lettern die Inschrift „Gewesen worden sein“. Da fragt man sich wie Goethes Faust: „Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?“ Aber die Antwort kennt weder der Wind noch der Regisseur, denn Irritation ist ja das Prinzip von Elfriede Jelineks Texten: Nach dem Motto „Alles muss raus“, springen sie von Werbesprüchen zur Theodizee; sie knacken vertraute Denk- und Empfindungsmuster, indem sie in kalauernden Wortspiel-Assoziationsketten die Alltagssprache aufbrechen, die solche Muster transportiert.
Insofern fällt Simons’ psychologisierende Inszenierung zu eindeutig und naturalistisch aus – aber das Spiel mit Ambivalenz wäre bei diesem Stoff ja schwierig. Mit beklemmender atmosphärischer Eindringlichkeit macht der Regisseur die unvorstellbare Hölle zumindest erahnbar, durch die Fritzls Tochter gegangen sein muss. Die grandiose Birgit Minichmayr, ausstaffiert wie eine Prinzessin aus Velázquez’ Gemälde Las Meninas, spielt diese Frau als einen einzigen körperlichen Schrei: als gellendes Zucken, als kauernde, wankende, wandelnde Wunde – ein erschütterndes Ereignis.
Die politische Dimension, die in Jelineks „Textfläche“ angelegt ist, blendet der Regisseur weitgehend aus. Seine Konzentration auf den Inzest-Schocker zeitigt zwar in dieser betörend schönen Inszenierung eine verstörende Wirkung, bleibt aber in ihrer Intensität dem traditionellen Katharsis-Theater verhaftet. Auch wenn das schon länger out ist. (Alexander Altmann)

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