Kultur

Sir András Schiff im Neumarkter Reitstadel. (Foto: Neumarkter Konzertfreunde)

19.02.2018

Jenseits aller Moden

In höchster Vollendung spielt Starpianist András Schiff im Neumarkter Reitstadel

Die Salzburger Mozartwoche und der Neumarkter Reitstadel sind winterliche Fixtermine von Pianist Sir András Schiff. Zwischendrin war er in Moskau und St. Petersburg, für den „Reitstadel“ und die „Neumarkter Konzertfreunde“, zu denen die Schiff-Gemeinde aus ganz Deutschland pilgert, hatte er wenige Tage nach dem Konzert von Daniil Trifonov an gleicher Stelle, das sich auf Chopin konzentrierte, ein ganzes Bündel von Programmlinien zusammengeknotet:  Kontraste  zwischen dem jungen und alten Brahms, zwischen Schicksalspessimismus und Lebensmut, zwischen beziehungsreichen Tonarten. Besonders aber wollte der immer noch singuläre Bachinterpret wieder einmal zeigen, was Maurizio Kagel zu Bachs 300. Geburtstag schon behauptet hatte: „Es mag sein, dass nicht alle Musiker an Gott glauben; an Bach jedoch alle.“  Der also als Identifikationsfigur: mit der d-moll-Suite aus den „Englischen“. An ihr wollte Schiff demonstrieren , auf welcher Basis die anderen Großmeister dieses Programms fußen: Mendelssohn Bartholdy, Beethoven, Brahms. Aber zugleich wollte Schiff vielleicht auch den romantischen Spuren nachspüren, die sich von der Spätromantik eines Brahms über die Beethoven-Sonate op. 78 oder Mendelssohns Fantasie op. 78 zurückverfolgen lassen. Es gab also genug nachzudenken über  diese Zweieinhalb-Stunden-Matinée, auch Erinnerungen nachzuhängen: an diesen András Schiff, mit dem für viele im Publikum irgendwann  die Bekanntschaft mit Bach erst so recht begonnen hat. Losgelöst von all der romantischen Bilderflut, die von Brahms bis Beethoven auf einen einstürmte, war das Musik in aller Klarheit und Virtuosität, aber auch in Wärme und humanen Dimensionen. Dafür hat Schiff nach wie vor uneingeschränkte pianistische Möglichkeiten, da hat sich nichts in Richtung irgendeiner Altersweisheit verändert: Schiff bleibt auf dem Niveau höchster Vollendung und Mitteilungskraft jenseits aller Moden. Und er kann einem so deutlich wie kaum jemand sonst  zeigen, was der Unterschied zwischen einer Bach-Gavotte und einem Brahms-„con grazia“ ist. Mendelssohn Bartoldys „Fantasie“ op. 78 war zuvor ein denkbar passender Beginn des Programms: So wie Schiff die ersten Töne, die einführenden Takte aus der romantischen Tiefe holt, langsam den Vorhang aufzieht über einer Sphäre des Fantastischen und Fantasievollen, zu der auch romantische Bizarrerien gehören. Alles, was Nebenstimmen und Einzelthemen erzählen, fügt Schiff zu Bildern zusammen, die ihm selbst die Inspiration für sein Spiel geben: So entstehen keine „Abbildungen“, wie sie hier in dieser „schottischen“ Sonate möglich wären, sondern Sinnbilder wilder Romantik. Man kann in dieser Sphäre auch nicht vorbei an der Vorstellung, wie Mendelssohn dem alten Goethe 1830 eben diese Fantasie in Weimar vorgespielt hat. Und man empfindet sie als eine Art von Mendelssohnscher Wanderer-Fantasie zehn Jahre nach der von Schubert. Jenseits allen lehrhaften Bildungskanons umreißen auch die anderen Stücke dieses Vormittags jeweils einen ganzen kulturhistorischen oder biografischen Horizont. Allein wie sich Schiff liebevoll dieser ganz ungewöhnlichen Fis-Dur-Sonate von Beethoven zuwendet: Da geht es ums Innerste, um die Schwärmerei für eine Art „ferner Geliebter“ (vielleicht war es Therese von Brunsvik?) jenseits aller  formalen Pflichterfüllung. Schiff spielt vor, wie sich Beethoven alle Freiheiten nimmt: nur zwei Sätze, aufgebrochene Formen, minutiöse Detailarbeit, raffiniert formulierte Dialoge. Das sind die Herausforderungen, wie sie Sir András  liebt. Auch im Vergleich der beiden Brahms-Zyklen op. 76 und 116 in einer subtilen Differenzierung. Allein schon in den vielen Nuancen des „Sanften“, die ihm für Beethoven wie für Brahms zur Verfügung stehen, und der großen donnernden Attitüde bei Brahms, die eigentlich nur die Erwartungen des Publikums bedient. Danach mochte ihn das in Neumarkt  kaum gehen lassen, muss aber nicht lange auf Sir András warten. Am 17. Mai spielt er zusammen mit dem Münchner Komponisten und Klarinettisten Jörg Widmann in offenbar bemerkenswerter Seelenverwandtschaft Brahms, Berg, Schumann und natürlich auch Widmann. (Uwe Mitsching)

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